Ja, ihr habt es vielleicht schon mitbekommen. Während meine erste Mehrtagestour mich ans Nordkap geführt hat, will ich jetzt noch ein kleines bisschen länger unterwegs sein. Ich starte zu einer Radreise entlang der Panamericana.
Vom Nordpol zum Südpol ist’s nur ein Katzensprung
Dieses Fernstraßen-Netzwerk führt von Alaska nach Argentinien. Dabei gibt es verschiedene Alternativrouten, welche mal mehr oder weniger lang, hügelig oder gut befahrbar sind. Egal für welche Varianten ich mich entscheide, um dann hoffentlich „aus Feuerland zurück, nach Hause“ zu kommen, es wird bestimmt abenteuerlich, erlebnisreich, anstrengend, aber auch wunderschön, lehrreich und spannend werden. Auf jeden Fall werde ich versuchen, euch, so gut es geht, auf dem Laufenden zu halten.
Aller Anfang ist schwer – Der Dempster Highway
Eigentlich wollte ich ja in Prudhoe Bay starten, um wirklich das Maximum aus der Strecke herauszuholen. Das wäre nämlich der am weitesten nördlich gelegene, auf dem Landweg erreichbare Punkt Nordamerikas. Als ich anfing, Flugpreise zu vergleichen, hörte man bereits die ersten Nachrichten von einem neuartigen Virus, der sich in der Wu-Hang-Provinz in China ausbreitete.
Dieser sorgte dann dafür, dass der Reiseveranstalter, dem ich mit dem Transport dort hoch beauftragen wollte, dicht machen musste. Dicht waren fortan auch die Grenzen in die USA. Zum Glück hatten Caro und ich bereits ein Working-Holiday-Visa für Kanada in der Tasche, mit Hilfe dessen wir unterwegs die Reisekasse aufbessern wollten. Unsere Einreise ins Ahornland wurde also genehmigt. Das ist zwar noch nicht Alaska, aber schon mal relativ dicht dran.
Da nach über einem Jahr noch immer keine Öffnung der US-Amerikanischen Grenze in Sicht ist, musste ich eben nach einem alternativen Startpunkt Ausschau halten.
Der nördliche Polarkreis musste also herhalten. Der Dempster Highway überquert diesen glücklicherweise noch im Yukon Territory. In den nördlich angrenzenden Bundesstaat „Northwest-Territories“ wären wir nämlich ebenfalls nicht hereingekommen.
Caro brachte mich mit dem Auto die gut 400 Kilometer bis zum Polarkreis über die Schotterpiste, welche nach dem legendären Sargent Dempster benannt ist. Dieser war hier Anfang des letzten Jahrhunderts auf der Suche nach der sogenannten „Lost Patrol“ unterwegs, konnte seine Kollegen aber nicht mehr lebend bergen. Das mag euch vielleicht nicht wirklich spektakulär erscheinen, da hier aber sonst nicht viel passiert, reicht es, um große Bekanntheit zu erlangen, in jedem Museum im Yukon zumindest erwähnt zu werden, sowie namensgebend für eine insgesamt circa 740 Kilometer lange Schotterpiste zu sein.
Die Straßenverhältnisse waren zwar nicht so schlecht, wie es die Schilderungen vermuten ließen, schneller als 50 km/h fuhren wir aber trotzdem selten. Wir waren aber auch sehr vorsichtig, da wir keinen richtigen Ersatzreifen im Gepäck hatten. Andere hatten gleich vier Stück dabei.
Nach der dementsprechend langen Fahrt schliefen wir dann direkt auf dem Polarkreis. Also mit den Füßen quasi in der Arktis.
„Hier oben“ bietet sich einem eine unwirkliche Szenerie. Die Weiten der arktischen Tundra sind schlichtweg überwältigend.
Die Landschaft unterscheidet sich drastisch von dem, was ich von meiner Radtour in der europäischen Arktis kenne. Du kannst einfach mal rechts und links gucken und weißt, dass da ein paar hundert, mitunter auch ein paar tausend Kilometer kein einziges Haus und wahrscheinlich auch kein einziger Mensch kommt. Es ist absolut still hier. Man hört maximal den Wind. Jede Stunde kommt vielleicht mal ein Truck vorbei in der Nacht aber auch eher selten.
Auf geht’s!
Morgens ging es ganz normal aus dem Bett. Nach einem kleinen Fotoshooting und einer längeren Unterhaltung mit ein paar Motorradfahrern, starteten wir Richtung Süden, ich auf dem Rad und Caro im Auto.
Der erste Treffpunkt war Eagle Plains. Dabei handelt es sich um einen großen Rasthof samt Tankstelle. Die einzige, die wir bis zum Ende des Highways (ca. 360 km) passieren sollten. Bereits die ersten 40 Kilometer dorthin machten mir klar, dass diese Radtour anders als die vorherigen werden wird. Es ging viel auf und ab. Die durch Regen und Bauarbeiten aufgeweichte Schotterpiste machte mir das Leben auch nicht grade leichter. Teilweise sammelte sich so viel Schlamm zwischen Reifen und Schutzblech, dass ich diesen erstmal freikratzen musste, bevor ich weiterfahren konnte. Dementsprechend war ich auch ziemlich fertig, als ich nach 85 Kilometern den mit Caro ausgemachten Treffpunkt erreichte.
An diesem Abend war ich froh, nur mit leichtem Gepäck unterwegs gewesen zu sein. Anfangs kam mir da noch mein Ego in die Quere. Ist das überhaupt noch eine richtige Herausforderung, wenn Caro im Auto, dass bis unters Dach mit Essen, warmen Sachen und anderen Annehmlichkeiten vollgestopft ist, am Abend auf mich wartet? Aber wie sich schnell herausstellte, war es das dennoch.
Physisch war der Dempster Highway wie beschrieben ziemlich herausfordernd. Allerdings brachte der „Support-Wagen“ nicht nur Vorteile mit sich. Auf alle Fälle ist man weniger flexibel. Da kein Handynetz vorhanden ist, muss auf jeden Fall bis zum ausgemachten Treffpunkt gefahren werden. Sonst hätte ich wahrscheinlich das ein oder andere Mal schon etwas früher gestoppt.
Außerdem weiß ich nie, was für eine Caro ich vorfinde. Manchmal ist sie recht versöhnlich gestimmt. Wenn es aber geregnet hat oder die Strecke langweilig war und sie deshalb nichts machen konnte, war sie dementsprechend grantig.
Der große Shock
Gegen Ende des Dempster Highways, im Tombstone Territorial Park, machte ich mich grad an den letzten ernsthaften Anstieg dieses Streckenabschnitts.
Von weitem sah ich bereits unser Auto, dass auf Grund der schwarz-orangenen Dachbox leicht zu identifizieren war. Im ersten Moment rollte ich noch die Augen wegen der merkwürdigen Weise, wie das Auto geparkt wurde und hatte schon eine Standpauke an meine Lebensabschnittsbevollmächtigte auf den Lippen.
Als ich näher kam, sah ich aber, dass die Karre ja tatsächlich von der Straße abgekommen war und jetzt an einem steilen Abhang stand.
Der Anstieg war auf einmal kaum noch zu merken. In Windeseile war ich am Auto und musste feststellen, dass Caro gar nicht mehr da war. Das Auto schien okay zu sein, es sah aber bedrohlich danach aus, dass es jeden Moment umkippen und etwa 50 Meter weit einen Abhang herunterrollen könnte.
Mein Vorhaben, wirklich jeden möglichen Kilometer der Reise mit dem Rad oder zumindest unmotorisiert zu absolvieren, warf ich relativ früh über den Haufen. Ich hielt den nächsten Pickup Truck an, warf mein Rad hinten drauf und ließ mich am Visitor Center absetzten.
Dort wartete zum Glück eine unverletzte Caro auf mich. Ihre größte Sorge war, dass die Fische, die wir mittags gefangen hatten, jetzt schlecht werden würden. Das ist mein Mädchen.
Der Abschleppdienst war schon alarmiert, brauchte aber gut 2 Stunden hierher. Zum Glück waren wir nochmal zusätzlich über eine Art Automobilclub versichert. Ansonsten hätten sich die Kosten auf ca. 1600 $ belaufen, so waren sie gleich 0.
Der Fahrer des Abschlepp-Trucks war zunächst auch etwas perplex, dass das Auto sich nicht überschlagen hatte. Ich musste eine Verzichtserklärung unterschreiben, dass ich keine Ansprüche geltend mache, sollte die Karre, beim Versuch, sie rauszuziehen, abschmieren. Da kaute ich mir ganz schön an den Fingernägeln herum, aber am Ende schaffte er es, das gute Stück wieder sicher auf die Straße zu bringen. Wir ließen uns sicherheitshalber trotzdem erstmal zur Werkstatt nach Dawson City schleppen.
Gestrandet im Wilden Westen
Die ganze Misere passierte ausgerechnet an einem Freitagnachmittag. Die einzige Autowerkstatt der Stadt hatte, wie ihr euch denken könnt, bis Montag geschlossen.
Die ersten beiden Nächte stiegen wir in einem Motel ab und gingen erstmal schön Essen und ein paar Biere kippen, um ein bisschen runter zu kommen. Danach durften wir auf dem Kundenparkplatz der Autowerkstatt wohnen. Dort gab man uns auch noch ein Verlängerungskabel, damit wir Strom hatten. Direkt gegenüber ist ein RV-Park, in den wir uns zur Aufrechterhaltung der Körperhygiene schlichen. Quasi ein Luxushotel, das wir da hatten.
Kannibalismus JETZT!
In Dawson City ließ es sich aushalten. Es war wirklich sehr schönes Wetter, sieht man mal von den Rauchschwaden der nahe gelegenen Waldbrände ab. Das machte die Wartezeit erträglich.
Außerdem musste ich unbedingt noch ein kulinarisches Highlight probieren. Da der Norden Kanadas diesbezüglich ja nicht so viel zu bieten hat, war das eine willkommene Abwechslung.
In der alten Goldgräber-Stadt sind die Menschen schon etwas sonderbar. So kann man hier im Downtown Hotel den so genannten Sour Toe Cocktail zu sich nehmen. Dabei handelt es sich um einen mumifizierten Zeh, den man vom „Captain“ in seinen Schnaps gelegt bekommt. Die obsolent gewordenen Körperteile gehörten Menschen, die an Diabetes erkrankt sind und denen deshalb ein oder mehrere dieser Zehen abgenommen wurden. Der ehemalige Wirt spendete den ersten Zeh und rief damit diese Tradition ins Leben.
Sein Zeh wurde allerdings bereits verschluckt. Bei fast 100.000 Mitgliedern im Sourtoe Club kann das ja mal passieren. Die jetzigen Zehen sind von Freiwilligen „Locals“ gespendet wurden. Wenn man darauf rum kaut, sie in den Mund nimmt oder herunter schluckt, droht eine Strafe von 2500 $. Da war ich wohl nicht der erste, der hier Schabernack treiben wollte. Da bei mir der Zeh im Glas fest gehangen hat, hätte ich ihn sogar fast aus Versehen verschluckt.
Nachdem am Dienstag dann auch endlich mal der Mechaniker zur Arbeit kam, um unser Auto zu einem sehr günstigen Preis zu überprüfen, ging es dann am Mittwochmorgen nach 5 Tagen in Dawson endlich weiter. Nachdem der Dempster Highway geschafft war, freue ich mich jetzt hauptsächlich auf asphaltierte Straßen.