You are currently viewing Rodeos und andere durchgeknallte Bullen

Rodeos und andere durchgeknallte Bullen

Vom gechillten Willy der letzten Wochen war nicht mehr viel übrig. Es wurden ordentlich Mittelfinger und Drohgebärden zwischen mir und dem restlichen Verkehr ausgetauscht. Dies war auch nur auf dem Abschnitt zwischen Kitwanga und Prince George der Fall. Danach wurde es dann abrupt besser. Auf diesem ersten Abschnitt habe ich auch kaum andere Radfahrer gesehen. Die Gegend scheint immer noch eingefleischtes Redneck-Land zu sein. Die hier lebenden Rinderzüchter haben für den unmotorisierten Verkehr wohl nicht allzu viel übrig.
Meine Vermutung, dass es sich eher um den einfach gestrickten Teil der kanadischen Bevölkerung handelt, wurde nochmals untermauert durch die zahlreichen „Fuck Trudeau“- Aufkleber, Banner und T-Shirts, die an den Heckscheiben, Scheunen oder direkt auf den Bierbäuchen der hier ansässigen Bevölkerung präsentiert wurden.

Der Spiegel war auf jeden Fall eine gute Investition.

Rodeo-Zeit

Wofür sie hier schon viel mehr übrig haben, als für ihren Hippie-Premierminister, ist das regionale Event des Jahres: die „Bulkley Valley Exibition“. Diese in Kanada auch oft unter dem Namen „Stampede“ oder „Fall Fair“ geführten Veranstaltungen sind quasi gigantische Volksfeste, deren Hauptattraktion die Rodeo-Disziplinen wie „Bullenreiten“ oder „Pferde fangen“ ist. Besonders letztere Disziplin wäre bei uns wahrscheinlich längst durch den Tierschutz verboten worden. Hier geht es darum, vorher wild gemachte Pferde in der Arena einzufangen, zu satteln und zu reiten. Dabei warfen die aus je drei Männern bestehenden Teams mit Lassos nach den Vierbeinern und hingen sich dann zunächst als Gegengewichte hinten dran, um die Pferde zu Fall zu bringen. Mensch und Tier mussten dabei augenscheinlich ordentlich einstecken. Die Menge tobte.

Da ging es ordentlich zur Sache.
Eröffnungszeremonie

Auch beim „Bull Riding“ kam es ab und zu vor, dass jemand auf die Hörner genommen und ordentlich durch die Luft geschleudert wurde. Aber ernsthaft verletzt hat sich niemand. Das sinnloseste an der ganzen Geschichte war allerdings, dass es in vielen Disziplinen gar keine Sieger gab, weil einfach niemand die Mindestkriterien, wie zum Beispiel 8 Sekunden auf dem wilden Bullen zu verweilen, erfüllen konnte. Nachdem jeder Reiter dann bei der finalen Veranstaltung des Wochenendes einmal an dieser Qualifikations-Zeit gescheitert war, gingen alle nach Hause. Ohne Siegerehrung oder ähnliches. Irgendwie etwas trostlos und wenig durchdacht, wie so manche Dinge hier in Kanada.
Aber für uns war es trotzdem ein einmaliges Erlebnis, ging es uns doch sowieso eher um das Erstellen von Milieu-Studien. Den ganzen Tag die Rednecks unter sich zu erleben, erinnerte an eine Safari oder einen Zoobesuch, nur das man halt Menschen beobachten konnte. Herrlich! Das ging bei den Nationalhymnen los, als plötzlich Fahnenträgerinnen einritten und die Menge tobte (übrigens die einzigen weiblichen Akteure des Nachmittages in der Arena) und gipfelte in einem absolut albernen Rodeo-Clown, der T-Shirts mit einer Kanone in die Menschenmenge schoss und dadurch kleinere Handgemenge beim Kampf um die begehrten Stofffetzen auslöste. Wenn das hier in Kanada schon so schlimm ist, wie soll das da erst in den USA werden?

Mit Kanonen auf Spatzen Lachse

Wo wir grad davon sprechen… als ich mich grad nach guten Stellen zum Lachs-Angeln rund um Smithers informierte, erzählte mir ein Amerikaner, der 10 Jahre in Alaska gelebt hat, dass es dort außerhalb von Anchorage an sehr beliebten Flüssen schon mal recht voll werden kann. Der gemeine Ami fährt halt nicht weiter, als er muss. Das führt dazu, dass sich die Angler gegenseitig in die Quere kommen. Da die Leute dort oben noch ein gesundes Aggressions-Level besitzen, führt dieser Umstand naturgemäß zu körperlichen Auseinandersetzungen, die ab und an auch in Schießereien enden. Schließlich haben die meisten Leute beim Angeln ihren Mini-Revolver dabei. Auf meinen unverständlichen Blick hin folgte eine genauere Erläuterung. In Alaska ist man schlichtweg zu faul, die Lachse auf dem herkömmlichen Weg zu töten. Stattdessen erschießt man sie lieber einfach. Jetzt ärgerte ich mich fast noch mehr, nicht in die USA gekommen zu sein.

Ich habe meinen Lachs selbstverständlich auf dem humanen Weg kaltgemacht. In den Hinterkopf beißen und kurz abschütteln.

Alleine unterwegs

Als wir Prince George, die größte Stadt im nördlichen British Columbia, hinter uns gelassen hatten, beschlossen wir mal ein paar Tage getrennt voneinander unterwegs zu sein. Dies hatte mehrere Gründe. Zum einen konnte Caro Jasper und die umliegenden Nationalparks sehen, die für mich ein zu großer Umweg gewesen wären. Außerdem vermuteten wir, dass uns ein paar Tage getrennt voneinander nach einem Jahr Kanada auch ganz guttun würden.
Landschaftlich war der nun kommende Streckenabschnitt wieder von der schöneren Sorte. Während zwischen Smithers und Prince George noch große Weideflächen dominierten, erhoben sich östlich der neuntgrößten Stadt British Columbias die majestätischen Rocky Mountains. Neben dem Yukon war diese Gebirgskette sicherlich eines meiner Sehnsuchtsziele in Kanada. Es war auch kein gemächlicher Übergang, sondern die Berge waren eben auf einmal einfach da. Angenehmerweise waren die Highways hier aber nicht sonderlich hüglich und ich musste keine unmenschlich hohen Bergpässe bezwingen.

Schöne Zeltplätze gab es überall.
Nachts gab es häufig solche Kulissen.

Der Präsident ist tot

Als ich in die Nähe von Valemount einen Schlafplatz suchte, nahmen mich Michelle und Ed bei sich auf. Die beiden hatten eine Rinderfarm, welche aber eher eine Art Hobby als ein gewinnbringendes Geschäft für beide ist. Ich konnte dort meine Sachen waschen, gut essen und schlief in einem dieser luxuriösen Wohnwagen, die sonst Tag für Tag an mir vorbeirauschten. Dafür half ich dann auch ein paar Stunden auf der Farm und konnte einen interessanten Einblick in das Rinderzüchten und dessen besondere Herausforderungen in den Rockies gewinnen.
Es wäre alles so schön gewesen, hätten die beiden nicht ständig mit politischen Themen angefangen. Wobei man hier eher von Wahnsinn als von politischer Gesinnung sprechen konnte, das muss ich leider so sagen.
Ed und Michelle hatten eigentlich konservative Bilderbuch-Karrieren. Er war einer der erfolgreichsten Drogen-Fahnder in Kanada gewesen, bevor er vorzeitig in Rente gegangen ist. Sie eine Country-Sängerin, die aber ihre Karriere nie über ihre Familie gestellt hat.

Meine etwas “durchgeknallten” Gastgeber.

Ich bin es auch gewohnt, dass viele Leute nicht unbedingt meine „links-grün-versiffte“ Weltsicht teilen und komme damit auch sehr gut klar. Aber diese beiden „Experten“ waren wirklich schon in einer anderen Welt unterwegs. Ich habe mal lieber nicht erzählt, dass ich geimpft bin, ansonsten hätten sie wahrscheinlich mit Kruzifix bewaffnet den nächsten Luftschutzbunker aufgesucht. Stattdessen habe ich immer schön interessiert getan, gleichzeitig aber versucht, das Gespräch auf andere Themen zu lenken.

Besonders Ed hatte eigentlich so viel interessantes über sein Leben zu erzählen. Er ist mitten in der Wildnis aufgewachsen und musste teilweise mit dem Pferd zur Schule reiten, weil sein Vater Ranger im Nationalpark war. Aber irgendwie kam er immer wieder darauf zu sprechen, dass Trudeau uns alle vergiften und den Kommunismus in Kanada einführen will. Schade eigentlich. Auch die Aussage, dass man den kanadischen Premier-Minister im Falle einer Wiederwahl eigentlich erschießen müsste, lässt sicherlich nicht grade auf einen gesunden Geist schließen. Aber solche Gesinnungen sind ja auch bei deutschen (Ex-)Polizisten nicht besonders unüblich.

Interessant war diese Begegnung auf jeden Fall, aber jetzt musste ich erstmal wieder ein paar Nächte irgendwo in der Wildnis schlafen, ohne andere Menschen um mich herum.

Ruhe findet man hier in Kanada ganz einfach.
Diese Zeitgenossen wollen niemanden erschießen – naja, zumindest reden sie nicht so oft davon.

Ein lang erwartetes Wiedersehen

Ein paar Tage später traf ich mich dann wieder mit Caro und wir setzten die Reise wie gehabt fort. Sie fährt Auto, ich Fahrrad und abends treffen wir uns irgendwo. Die Gegend um Kamloops kannten wir bereits flüchtig. Hier gab es nochmals eine starke Veränderung der Landschaft. Es sieht eigentlich aus wie im Wilden Westen, zumindest in den Sommer-Monaten. Sogar Klapperschlangen sind in der Gegend heimisch. Es gab zwar auch Wälder, das meiste Land war aber eher Steppe mit Büschen und Gräsern. Trotzdem gab es viele Flüsse und Seen. Abwechslungsreich war es also allemal.

Wir hatten Glück, kurz nach der Waldbrand-Saison da gewesen zu sein, die auf Grund der Hitzewelle im Sommer dieses Jahr besonders verheerend ausgefallen ist. An Lagerfeuer war beispielsweise noch immer nicht zu denken.

Die letzte Etappe führte uns an die US-Amerikanische Grenze. Diese konnten wir leider nicht überqueren, da die USA nach wie vor ihren Einreisestopp aufrecht erhielt.
Glücklicherweise hatten wir Freunde, die direkt an dem Grenzübergang wohnten, an dem wir sowieso „übersetzen“ wollten. Meagan und Ian übernachteten vor etwa 5 Jahren bei uns in Görlitz, als sie als Backpacker durch Europa tourten. Wir wurden Freunde. Über die Jahre verloren wir etwas den Kontakt, wie es meist so ist. Als wir ihnen allerdings mitteilten, dass wir nach Kanada kommen, boten sie uns sofort ihr Gästezimmer an. Praktischerweise war dieses nur 500 Meter von der US-Grenze entfernt. Ich kann also mein Fahrrad so lange wie nötig hier lassen und sobald die Grenzen öffnen, weiterfahren. Das war einmal mehr ein glücklicher Zufall.

Auch nachdem wir 5 Jahre kaum etwas voneinander gehört hatten, verstanden wir uns auf Anhieb super.
Meagan’s Familie gehört ein Weingut. Bei der Weinlese helfen war eine interessante Abwechslung.

Außerdem hatten die beiden hier eine Bäckerei eröffnet, die selbst in Deutschland qualitativ zum oberen Drittel Spektrums gehört hätte. Selbstverständlich bedeutet das für Kanada, dass die beiden hier in der absoluten Königsklasse rangieren, was das Bäckereihandwerk angeht. Die Inspiration dazu haben sie sich in Europa während ihrer Reise geholt. Generell kommt das bei den Kunden auch gut an. Nur manchmal sind die beiden etwas frustriert, wenn so ein kanadischer Weißbrot-Wichtel ihnen erklären will, dass ihr Brot verbrannt sei. Dunkles Mehl kennen die Menschen hier wahrscheinlich so gut, wie ein Pinguin Basmatireis.

Jeden Tag etwas anderes zu futtern.

Nachdem wir noch ein paar tolle Tage bei Meagan und Ian verbrachten, beschlossen wir, mit dem Auto einige Wochen durch die Rockies zu fahren. Als sich abzeichnete, dass die Grenzen nicht vor November öffnen sollten, was mir dann in dieser Gegend doch zu kalt zum Fahrradfahren ist, buchten wir einen Flug zurück nach Hause. So war das eigentlich bei mir nicht geplant, aber die Durchführbarkeit der Reise, so wie ich sie machen wollte, war pandemiebedingt zu diesem Zeitpunkt leider nicht gegeben.
Außerdem ist es doch auch mal schön, nach über einem Jahr Freunde und Familie wieder zu sehen. Ich hoffe, dass es im Frühjahr weitergehen kann. Mein Fahrrad steht auf jeden Fall noch in Kanada, nur ein paar hundert Meter vom Grenzzaun entfernt. Wann genau es weitergeht, weiß ich noch nicht, aber ich halte euch auf dem Laufenden!

Dieser Beitrag hat einen Kommentar

Schreibe einen Kommentar