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Redneck Paradise

Es füllt sich langsam hier im Resort. Nein, wir bieten keinen Urlaub unter dem Motto „Abenteuer-Baustelle“ an. Allerdings haben wir Gesellschaft in Form von neuen Mitarbeitern bekommen. Mittlerweile sind wir zu siebent mit dem Ausbau der Ferienanlage beschäftigt.

Die Neuen

Im Oktober ist Dennis zu uns gestoßen. Pünktlich zu dem Zeitpunkt, als es im Graben so richtig matschig wurde und grade noch rechtzeitig, damit wir diesen noch vor dem Winter fertigstellen konnten. Trotzdem er als Ingenieur eigentlich zu Axels erklärten Feinden gehört und sich deshalb auch den ein oder anderen Spruch anhören darf, hat er sich doch schnell eingelebt. Dank seines Erfindungsreichtums haben wir jetzt viele praktische Haushaltsgegenstände, wie zum Beispiel einen Schuhtrockner oder eine Zange zum Herstellen einer leckeren Feuerzangenbowle.

Dennis bei der Arbeit.

Als nächstes sind Annika und Lion zu uns gestoßen. Die beiden wohnen mit Caro und mir im White House. Annika wird Grundschullehrerin und Lion hat bereits einen Meistertitel als Zimmermann vorzuweisen. Da ich hier das einzige Kind bin und an mir sowieso schon alle möglichen Pädagogen gescheitert sind, ist vor allem Lion’s Profession gefragt. Gut für uns ist auf jeden Fall, dass wir jetzt einen zweiten Ansprechpartner für bautechnische Fragen haben, wenn Axel mal nicht da ist. Das ist vielleicht besser, als die Hütten mit Hilfe von YouTube zusammen zu schustern. Auch sonst ist das Zusammenleben mit den beiden entspannt. Der größte Konfliktpunkt ist auf jeden Fall der gute Platz auf der Couch, den ich jetzt nicht mehr für mich alleine habe. Wie macht dieser Sheldon Cooper das nur?

Jeder ist mal dran mit kochen. Hier hab ich Gulasch mit Knödel gemacht.

Vor ein paar Tagen sind noch Lisa und Paul angekommen. Weil sich die beiden mit dem Auto auf die Seite gelegt haben, hatte sich ihre Ankunft um ein paar Wochen verzögert. Zum Glück war lediglich ihr Auto verbeult und nicht sie selbst, sind die zwei doch Kfz-Mechaniker und keine Ärzte. Da sich noch keine weiteren bewohnbaren Gebäude auf dem Grundstück befinden, wohnen sie jetzt im Flughafengebäude von Anahim Lake. Allerdings kann man das nicht mit Tom Hanks im Film „Terminal“ vergleichen und die beiden müssen auch keine Münzen aus Gepäckwägen sammeln, um sich etwas zu Essen zu kaufen. Vielmehr ist der Flughafen hier winzig und die zweite Etage des wie ein Wohnhaus aufgebauten Terminals wird eben nicht anderweitig benötigt und daher vermietet.

Lisa & Paul gehen es entspannt an.

Haute Cuisine im Outback Kanadas

Ja, wo ich bin, wird auch aufwendig gekocht. Aber jetzt, wo es schon vor Feierabend dunkel wird, ist ja auch wirklich Zeit dafür. Da alle anderen zum Glück sehr zeitig essen und ich schon immer eher spät, ist der Stau in der Küche noch erträglich, außer beim Mittagessen natürlich. Da geht es schon heiß her.

Am wenigsten Aufwand betreibt dabei Anne. Man könnte dabei sogar soweit gehen und sagen, dass sie die Faulheit in der Küche perfektioniert hat. So wird beispielsweise die Pappe der Tiefkühlpizza gleich als Teller benutzt. Genial! Auch sonst weiß Anne, da sie schon so lange in Kanada lebt, immer, welcher Brotaufstrich am besten schmeckt oder von welcher Marke man den Chai-Tee unbedingt kaufen muss. Mittlerweile hat sie für Neuankömmlinge sogar einen Einkaufs-Guide geschrieben.

Als gemeinsames Event haben wir eingeführt, einmal in der Woche gemeinsam zu essen. Einer ist immer dran mit kochen. Da jeder aus einer anderen Ecke Deutschlands kommt und andere Präferenzen hat, lernt man so auch immer wieder neue Gerichte kennen. So waren zum Beispiel Dennis „Spätzle mit Linsen“ eine Entdeckung für mich, die ich in dieser Kombination so noch nicht kannte.

Wenn einen das kulinarische Heimweh packt, wird kurzerhand ein Dönerspieß gebastelt.

Wenn es eine Zutat gibt, ohne die ich kein Gericht zubereite, dann ist das Knoblauch. Schon als Kind habe ich das Knollengemüse gerne in Scheiben auf der Buttersemmel gegessen. Bei meinen Kolleginnen im Büro hat mich dessen exzessiver Genuss auch nicht unbedingt beliebter gemacht. Gut, dass es Knoblauch hier im Supermarkt gleich mal im Kilo-Pack gibt. So reicht mir das Netz dann 2 bis 4 Wochen.

Wenn man ihn selbst gegessen hat, soll man ja den Mundgeruch von anderen nicht mehr wahrnehmen. Das kann ich nicht so recht beurteilen, da die knoblauchfreien Intervalle in meiner Ernährung so kurz sind, dass ich diesbezüglich sowieso nichts mehr rieche. Jedenfalls könnte darin die Begründung liegen, dass alle anderen, die unsere Küche ebenfalls benutzen, jetzt ähnliche Mengen des „weißen Goldes“ verzehren. Besonders stolz war ich auf Lion, meinen jungen Padawan, als er eines Morgens begann, Knoblauch, den wir mittlerweile alle gepresst und in Öl eingelegt in großen Schraubgläsern lagern, auf seinen Frühstücks-Bagel zu schmieren.

Der einzige, dem unser Konsum missfällt, ist Axel. Der muss dann nämlich erstmal drei Wochen alle Gebäude durchlüften, nachdem wir weg sind.

Schnee-Chaos und vierbeinige Druffies

Die Tage werden immer kürzer, was zur Folge hat, dass es momentan zur Feierabendzeit bereits dunkel ist. Das schränkt natürlich die Möglichkeiten, am Abend noch etwas zu unternehmen, weitgehend ein. Aber das kennt man ja auch von zu Hause (Anahim Lake liegt auf dem gleichen Breitengrad wie Berlin, also geht auch die Sonne zur selben Zeit unter).

Außerdem ist mittlerweile alles mit Schnee bedeckt, aber noch nicht so zugefroren, dass man bedenkenlos zum Eisangeln gehen könnte (Stand: Dez. 2020). Der See ist zwar nicht sehr tief, allerdings vertrauen wir Axel nicht unbedingt, wenn er sagt: „Nehmt euch halt ein Messer mit, dann könnt ihr euch raus ziehen, wenn ihr im Eis einbrecht.“

Eines Morgens wachten wir sogar auf und trauten unseren Augen kaum. Über Nacht war mehr als ein halber Meter Schnee gefallen. Über den Tag hinweg hat sich diese Menge nochmals verdoppelt. So einen Schneefall hat das Resort in den 14 Jahren seines Bestehens noch nicht erlebt.

Arbeiten mussten wir natürlich trotzdem.

Als wir Axel, der grade bei den Apartments Schneeräumen war, zur Hilfe eilen wollten, da wir ihn als verschollen einstuften, scheiterten wir kläglich. Unser ATV war dabei das Fahrzeug der Wahl gewesen. Mit Anlauf und Vollgas schafften wir es ganze drei Meter aus der Garage, bevor wir tief im Schnee steckten. Es sollte also einfach nicht sein. Als wir uns dann aus Mangel an Alternativen in den Schnee setzten und ein Bier aufmachten, kam just in diesem Moment unser erschöpfter Chef die Einfahrt hoch, nachdem er drei Kilometer durch den hüfthohen Schnee gestapft ist.

Auf dem Hinweg ist er noch aus seiner Einfahrt auf den Highway gekommen, allerdings hatte in der Zwischenzeit ein Schneeflug selbige mit einer massiven weißen Wand zugeschoben. Bei dem Versuch diese zu durchbrechen, landete der Traktor im Graben. Deshalb der ungewollte Fußmarsch. Normalerweise gilt ja hier die Regel: „Alles, was länger ist als das Auto, wird gefahren“.

Am nächsten Morgen meinte Caro, dass sie, als sie aus dem Fenster guckte, irgendwelche merkwürdigen Gestalten gesehen hat. Sie sahen von weitem aus wie Menschen, sind aber auf vier Beinen unterwegs gewesen.

Im Laufe des Tages klärte sich die Geschichte auf. Es handelte sich um drei offensichtlich unter dem Einfluss von etwas härteren Genussmitteln stehenden Typen. Diese standen dann einfach mal, ohne zu klopfen, bei Axel im Wohnzimmer und überraschten ihn beim Frühstücken. Ihr Auto wäre wohl auf dem Highway verreckt und sie sind die Nacht über hierher gelaufen, um Hilfe zu holen. Frau und Kind wurden dabei im Vehikel zurückgelassen. Ist ja ganz logisch.

Axel kümmerte sich also darum, dass jemand nach den Zurückgelassenen schaute. Die drei Männer schlugen das Angebot, sich für ein paar Stunden hinzulegen, aus. Später merkten wir auch, warum. Zunächst einmal hatten sie versucht, den Traktor, der noch immer im Schnee steckte, zu klauen. Vermutlich um ihr Auto herauszuziehen. Bei diesem Versuch scheiterten sie kläglich und zerstörten darüber hinaus noch dessen Hydraulik. Außerdem verwüsteten sie noch einen RV/Trailer, der im vorderen Bereich des Grundstücks geparkt ist und den sie als Nachtquartier auserkoren hatten. Da dieser natürlich nicht geheizt war, wurde kurzerhand ein Feuer im Waschbecken entfacht. Endlich mal normale Menschen…

Snow-Craft statt Bush-Craft

Den heftigen Schneefall nutzten wir, um uns eine Feuerstelle der Extraklasse zu formen. Einmal durchgefroren, hielten die Sitzgelegenheiten dann auch eine ganze Weile. Lagerfeuer wird hier jeden Freitag gemacht und ist damit die eine Konstante in der Woche.

Unsere Sitzecke

Außer der schönen Feuerstelle und dem überwältigenden Anblick brachte der Schnee natürlich auch ein paar Erschwernisse mit sich. So mussten zunächst einmal Wege geschaufelt und Autos ausgegraben werden. Auch den Bäumen gefiel die zusätzliche Last nicht so. Sie brachen reihenweise unter der Schneelast zusammen.

Am Vortag wurde das Auto noch bewegt…

Zusammengebrochen bin ich auch fast, aber das hatte andere Gründe. Eines Tages räumten wir die große Werkstatt auf. Da wurde sortiert in „kann man noch gebrauchen“ oder „wird verbrannt“. Als wir eine harmlos erscheinende Wassertonne in den Schnee kippten, wurden dabei vier große Ratten mit herausgespült. Dass die da nicht erst seit gestern drin lagen, erkannte man unter anderem daran, dass sie sich bei bloßer Berührung mit der Schaufel schon häuteten. Caro schaffte es irgendwann, sie ins Krematorium zu schaufeln, bevor Herbert (Axels Hund) sie verzehren konnte. Auch sonst war der Tag geprägt von Redneck-Feuern und der ein oder anderen Explosion. Herrlich!

Der Jahreswechsel

Weihnachten und Silvester gestalten sich in diesem Jahr sicher sehr schwierig für die meisten von euch. Statt sich mit der buckligen Verwandtschaft um eine der beiden Gänsekeulen zu prügeln, sitzt man im engsten Kreis oder gar alleine unter der vertrockneten Nordmanntanne und weiß plötzlich die großen Familienzusammenkünfte der letzten Jahre mal so richtig zu schätzen.

Auch ich hätte in diesem, wie auch schon im letzten Jahr, lediglich die Möglichkeit gehabt, meiner Mutter via Videotelefonie fundierte Kritik an ihrer Zubereitung des Festtagsbratens zukommen zu lassen. Allerdings steht hinter diesem Umstand in meinem Fall kein Virus.

Hier draußen haben wir Weihnachten und Silvester gefeiert, wie wir es wahrscheinlich ein Jahr früher nicht anders gemacht hätten. Wir arbeiten ja eh jeden Tag zusammen und wohnen auch alle hier.

Da die Einkäufe für die Feiertage sehr üppig ausfielen, bekamen wir im Supermarkt sogar einen Truthahn geschenkt. Dieser war das Highlight meiner dreitägigen Koch-Orgie und konnte auch von 7 Fleischessern nicht an einem Tag bezwungen werden. Auch das Würzfleisch durfte am Heiligabend nicht fehlen. Da gab es keine Kompromissbereitschaft meinerseits.

Ansonsten bleibt mir noch, euch ein gesundes neues Jahr zu wünschen, wo auch immer ihr grade seid. Hoffentlich beruhigt sich die Welt im Jahr 2021 wieder ein bisschen oder es kommt zumindest eine Zombie-Apokalypse, um die Sache etwas interessanter zu gestalten. Prost ihr Hippies!

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