Nein verdammt! Wir sind noch nicht umgekippt, weil es hier zu warm ist. Auch von den Waldbränden haben wir noch nichts mitbekommen.
Blutsaugende Invasoren
Lediglich mit einer selbst für den Yukon ungewöhnlich starken Mücken-Invasion haben wir hier zu kämpfen. „Aber wenigstens haben die Vögel jetzt genug zu essen“, versuchen die Einheimischen der Sache doch noch etwas Gutes abzugewinnen. Mich stören die Viecher gar nicht weiter. Beim Angeln oder im Wald, wenn sie dann wirklich mal in so großer Anzahl auftreten, dass sie einem das Sichtfeld blockieren, setze ich mein Moskitonetz auf, welches gemeinsam mit luftigem Hemd und stechsicherer Hose fast schon einen Rundumschutz bietet. Ansonsten lasse ich sie einfach stechen, und wenn man nicht kratzt, ist nach 2 Minuten wieder alles gut. Bei Caro hingegen sieht die Sache ganz anders aus. Wenn ich sie nicht schon so lange kennen würde, hätte ich sie wohlmöglich bereits in eine Lepra-Kolonie deportiert.
Eine Zeit, in der man hier oben kurze Hosen tragen kann, gibt es nicht wirklich. Als wir am 30. April in unserer neuen Wirkungsstätte ankamen, hatten wir einen Roadtrip hinter uns, der uns die meiste Zeit durch Eis und Schnee führte. Die Campingplätze und Zufahrten zu all den schönen Seen waren noch nicht befahrbar und so mussten wir meist irgendwo am Straßenrand übernachten. Dabei hatte eigentlich die Fährfahrt durch die „Inside Passage“ von Port Hardy nach Prince Rupert Hoffnung auf gutes Wetter gemacht. Nur leider war der Winter im nördlichen British Columbia und dem Yukon Territory in diesem Jahr besonders lang.
Quarantäne Nummer 3
Die anschließende Quarantäne, von der leider auch ein vollständiger Impfschutz nicht befreit, verbrachten wir dann in der Village Bakery in Haines Junction, unser neuer Arbeitsplatz, an dem wir auch wohnen. Da wir die Ersten waren, die angekommen sind, durften wir uns auch die Behausung aussuchen. Stilecht checkten wir im Hilton ein. Dabei handelt es sich um eine ca. 10 Quadratmeter große Holzhütte die, im Vergleich zu den alten Wohnwagen im Hinterhof, wirklich chic ist. Terrasse mit Bergblick inklusive. Und das Beste daran … das ganze kostet uns nicht einen Cent. Da sieht man auch mal gerne drüber hinweg, wenn es in der ersten Woche noch kein warmes Wasser gibt.
Ansonsten verbrachten wir die Quarantäne damit, alle kennenzulernen. Unser Team bestand zu Beginn aus 15 Leuten. Die beiden Besitzer (Schwiegermutter und -sohn) kamen aus Texas und der Rest der Belegschaft war bunt zusammengewürfelt aus den USA, Kanada, den Niederlanden, England und Deutschland. Neben einigen (Trink)-spielen und einem Pizza-Abend, nahm ich auch an den täglichen Yoga-Stunden teil und war wider Erwarten positiv überrascht. Zwar bin ich noch ein Stück davon entfernt, meinen eigenen Aschram zu eröffnen, dafür, dass mein Vater aber einst diagnostizierte, dass mein einziges Gelenk das Schienbein sei, lief es aber ganz gut. Allerdings steht Caro der Sache nicht unbedingt positiv gegenüber, hatte sie mich doch in Verdacht, den Leibesübungen nur beizuwohnen, um den beiden anleitenden Kolleginnen auf den Hintern zu gucken.
Heimatgefühle
Als wir dann alle wieder in die Freiheit entlassen wurden, machten wir uns gleich daran, die Gegend zu erkunden. Mitte Mai waren die meisten Seen noch gefroren und alpine Wanderwege vom Schnee bedeckt. Das schränkte unsere Möglichkeiten, in die Natur zu gehen, ein kleines bisschen ein. Natürlich versuchten wir trotzdem so viel wie möglich draußen zu sein. Besonders nach 14 Tagen, an denen wir das Grundstück nicht verlassen konnten.
Haines Junction konnte bei mir sofort punkten. Zunächst einmal fiel auf, dass hier einfach jeder in der Öffentlichkeit rülpst. An den meisten Orten bin ich damit eher der Exot. Auch die Angewohnheit, Mixgetränke mit dem Finger umzurühren, anstatt sich anorganischer Hilfsmittel wie z. B. Löffel zu bedienen, adaptierte ich schnell. Man soll sich seiner Umgebung ja anpassen. Hier fiel mir dies überhaupt nicht schwer.
Mein Herz gewann Haines Junction dann ein für alle Mal, als ich sah, dass sich die örtliche KfZ-Stelle im Liquor Store befand. Also nicht nur im selben Gebäude, sondern man muss durch die mit Bier und Spirituosen gefüllten Regale schlendern, um zum Eingang des kleinen, gläsernen Büros zu kommen. Bedient wird man übrigens von denselben Leuten, bei denen man auch Alkohol kauft. Unfassbar!
Tschernobyl Kukhnya
Obwohl ich eigentlich der Überzeugung bin, in meinem Leben schon genug gearbeitet zu haben, gebe ich der Sache dann doch immer wieder mal ‘ne Chance. Die Village Bakery hatte mich als Koch angestellt. Das habe ich zwar „nicht gelernt“, wie man in Deutschland sagen würde, aber das interessiert hier ja keinen. Für Kanada reicht`s und für den Yukon erst recht.
Koch in einer Bäckerei? Das mag sich erstmal etwas komisch anhören, da man das bei uns zu Hause nicht kennt. Hier gibt es aber sowieso sehr wenige Bäckereien und wenn es sie gibt, dann machen sie halt alles. Lasagne, Moussaka, Salate, Pizza, … „You name it – we have it!”. Durch den texanischen Einfluss unserer Besitzer, steht sogar ein riesiger Smoker, den man über das Smartphone steuern kann, im Hinterhof und fabriziert Pulled Pork und Brisket wie am Fließband. Auch BBQ-Abende mit Live-Musik finden wöchentlich statt.
Das liest sich wahrscheinlich sehr positiv, doch ist längst nicht alles Gold was glänzt. Der Küchenchef ist ein grummeliger Engländer. Dieser hat den Beruf auch nicht gelernt, war aber letztes Jahr schon mal hier und ist ein guter Freund von Chris und Rhonda, den beiden Besitzern. Deshalb kam er wahrscheinlich zu diesem Posten. Wer schon mal in England war, ist dort wahrscheinlich nicht in erster Linie hingefahren, um die fantastische Landesküche kennenzulernen und ich wette, die allermeisten waren von ihr auch nicht sonderlich angetan. Wenn ich an meine beiden Besuche auf „der Insel“ zurückdenke, ist die prägendste Erinnerung das Hackepeter-Brötchen, dass ich mir nach dem Rückflug direkt am Flughafen Schönefeld einverleibt habe. Dies erschien mir im Vergleich zu dem Essen der Vorwoche dann wie vom Ernährungsplan einer Diätberaterin.
Auch besagter Chefkoch bleibt den britischen Traditionen voll und ganz treu. So stehen „Sausage Roll“ und „Shepard´s Pie“ und andere „Classics“ der britischen Küche hier ganz oben auf der Speisekarte. Diese mögen zwar okay zubereitet sein, sind aber bereits von der Idee her nichts, worauf ich unbedingt täglich Bock habe. Auch vom Brot bin ich nicht allzu begeistert. Bei dem Wort „Sauerteig“ hatte ich mir eigentlich Hoffnungen gemacht, aber am Ende handelt es sich dann doch nur um ein besseres Weißbrot. Da ich die Versuche unserer Bäcker, dunkles Brot herzustellen, miterleben musste, sollte man aber auch besser dabei bleiben.
Für die kulinarische Wüste, in der wir uns hier befinden, ist das Essen aber schon ganz gut! Kanada hat wunderschöne Landschaften, entspannte Menschen und viel Freiheit, aber was das Essen betrifft, kann zumindest der Norden nicht überzeugen. Das merkt man auch daran, dass ich mich regelmäßig mit meiner niederländischen Arbeitskollegin über die hiesigen Essgewohnheiten lustig mache. Und wenn die Holländer das schon sagen …
Ich bin hauptsächlich für die Herstellung von Sandwichen, Saucen und den vegetarischen Gerichten, sowie dem schlichten Erwärmen, verantwortlich. Zumindest habe ich das so interpretiert. Allerdings ist hier vieles so unorganisiert, dass eh jeder macht, was er will. Wenn es mich dann mal packt, klopf ich `ne Ladung Schnitzel und starte den Versuch, den Kanadiern etwas Esskultur nahezubringen. Und siehe da – es fruchtet! Grad kam meine Chefin begeistert zu mir und berichtete von einer Frau, die nach dem Erwerb eines Schnitzelbrötchens gleich zurückkam um alle verbleibenden zu kaufen.
Ein richtiges Meeting oder eine Einweisung gab es allerdings nie. Wir haben einfach irgendwie angefangen zu arbeiten. Auch die Preise waren nicht im geringsten kalkuliert, sondern einfach von dem ausgedacht, der grade Lust dazu hatte. Im Yukon klappt das dann eben trotzdem, da es ja auch keine Konkurrenz gibt und die Nachfrage, besonders in Jahren mit einer normalen Tourismus-Saison, vorhanden ist.
Aber eigentlich bin ich auch froh, nicht der Chefkoch oder Manager zu sein. Zwar überlege ich mir manchmal einen Geigerzähler an den Hosenbund zu heften, um die Strahlung, die von den drei gleichzeitig rotierenden Mikrowellen abgegeben wird, im Auge zu behalten, jedoch bin ich auch froh, wenig Verantwortung und damit viel Freizeit und flexible Arbeitszeiten zu haben. Außerdem war meine Vorstellung vom Yukon sowieso nicht, in den Koch-Olymp aufzusteigen. Leckeres Essen kochen kann ich. Ich wollte herausfinden, ob ich mit dem Stress in einer Küche klarkomme und mich so organisieren kann, dass alle Leute halbwegs gleichzeitig ihr Essen bekommen. Wie sich herausgestellt hat, klappt das ganz gut.
Caro rockte währenddessen den Verkaufsbereich. Das tat vor allem ihren Sprachkenntnissen gut. Aber auch Kaffeespezialitäten bereitet sie jetzt wie aus dem FF zu. Mit unseren Kollegen kamen wir super aus. Auch Rhonda und ihr Schwiegersohn Chris waren richtig cool, fast schon zu nett. Sie konnten einem kaum einen Wunsch ausschlagen. Wenn man mal einen freien Tag extra brauchte, war das eigentlich immer möglich.
Lediglich den Schweinen des örtlichen Farmers dürfte meine Anwesenheit nicht besonders gefallen haben. Reste, die normalerweise in deren Futtertonne landen würden, habe ich entweder weiter verarbeitet oder mir selbst einverleibt. Die überschüssige Energie konnte ich aber auch gut gebrauchen.
Der Berg ruft
Eigentlich wollte ich hier nämlich in allererster Linie wegen der Natur her. Und die ist wirklich einmalig! Auch, wenn sich der Schnee in diesem Jahr ewig feiern lassen hat, konnten wir dann doch schon relativ zeitig recht viel unternehmen. Wanderungen in allen Ecken des Kluane Nationalparks lieferten beeindruckende Ausblicke. Besonders die Sicht vom Gipfel des Mount Decoeli war beeindruckend. Von hier konnten wir einen Blick auf das größte nicht-polare Eisfeld der Erde erhaschen. Sogar Mt. Logan, der höchste Berg Kanadas, war im Dunst auszumachen. Allerdings empfehle ich nicht, diese Wanderung, so wie wir, nach Feierabend zu starten. 15 (return) Kilometer auf 1300 Höhenmetern sind zwar nicht utopisch viel, aber da es hier meist keine Wanderwege gibt, sondern auf trockenen Flussbetten und steilen Hängen mit losem Gestein gelaufen werden muss, ist es meist anstrengender, als es sich liest. Die Hälfte von dem, was man hoch läuft, rutscht man wieder runter.
Die meisten größeren Wanderungen bestritt ich mit meinen neuen Freunden Sophie und Laurent. Die leben hier schon etwa 4 Jahre. Da sie kaum etwas anderes machen, haben die beiden schon alle offiziellen Wanderungen, die der Park hergibt, abgehakt. Das hat zur Folge, dass sie sich jetzt eigene Trails erschließen. Das macht es noch unwahrscheinlicher, andere Menschen zu treffen und lässt die Natur um einen herum noch wilder erscheinen. Vor allem die Übernachtungs-Trips in entlegenere Ecken des Parks waren ein unvergleichliches Erlebnis.
Für mich persönlich ist der größte Unterschied zu Wanderungen in Europa, neben der Weite, die Möglichkeit, wilde Tiere zu sehen. Das klappte dann auch ganz gut. Neben Wildschafen, Bergziegen, Murmeltieren, Stachelschweinen und Elchen, sahen wir auch schon mal Wölfe und Bären. Letztere kann man vor allem beobachten, wenn man mit Caro unterwegs ist. Die lautstarken Beschwerden darüber, dass es so viel bergauf geht (Wer erwartet sowas auch bei einer Wanderung?) veranlassen Meister Petz meist ganz schnell, Reißaus zu nehmen und sich in höhere Gefilde zu begeben.
Als nächstes geht es für mich wieder mit dem Fahrrad weiter. Aber dazu bald mehr…
Der Bus sieht interessant aus….. aber alles andere auch! Genießt den Spätsommer und habt das Glück der Tüchtigen!