„Man ey, gut dass du was im Kopf hast. Wenn du mit den Händen arbeiten müsstest, würdest du verhungern.“ – Diesen Satz predigte mir mein Vater während meiner gesamten Schulzeit immer und immer wieder. Nicht ganz zu unrecht. Ich hatte wirklich nie besonders viel mit handwerklichen Arbeiten am Hut.
Allerdings waren meine sportlichen Leistungen auch immer bescheiden gewesen und siehe da, ich bin mit dem Fahrrad fast 9000 Kilometer durch Europa gegondelt. Bedingt durch das viele Radfahren und das permanente draußen Leben ist auch das Interesse daran gestiegen, Dinge selbst reparieren und optimieren zu können. Auch nach dem Vagabunden-Leben können derartige Fähigkeiten sicherlich nicht schaden.
Warum sollte ich mich nicht also auch mal als Handwerker probieren? Den perfekten Ort dafür, nämlich den “Arsch der Welt” scheine ich (und wenn ich „ich“ sage, meine ich natürlich wir) gefunden zu haben…
Unser neues Zuhause
Das „Red Cariboo Resort“ liegt nur unweit des „Highway 20“, welcher die Städte Williams Lake und Bella Coola miteinander verbindet. Um den nächsten richtigen Supermarkt zu erreichen, muss man diesem ca. 320 Kilometer folgen. Highway ist dabei allerdings bisweilen ein starker Euphemismus. Die letzten 10 Kilometer bis zu unserer Wirkungsstätte sind nicht einmal mehr asphaltiert. Dies führt dann natürlich zu völlig überdimensionierten Einkäufen, da wir den langen Weg nur alle 4-6 Wochen in Angriff nehmen.
Das Resort ist also wirklich in der Wildnis gelegen. Wir haben von unserem Fenster aus einen wunderschönen Blick auf den Dean River. Statt von Nachbarn sind wir umgeben von riesigen Wäldern. An „unserem“ Resort wird bereits seit 14 Jahren mehr oder weniger durchgängig gebaut. Bisher sind lediglich einige Appartments am nahe gelegenen Anahim Lake eröffnet. Im Sommer nächsten Jahres soll dann der Rest folgen. Genau deswegen sind wir hier.
Unser Quartier ist das so genannte „White House“. Angemessener Name, wie ich finde. Es ist das älteste Haus auf dem Gelände des Resorts und verfügt über eine Gemeinschaftsküche, die momentan von allen Mitarbeitern genutzt wird, ein Wohnzimmer und zwei Zimmer zur Unterbringung von Mitarbeitern in der oberen Etage. Während im Washingtoner Pendant die Wände wahrscheinlich bis zur Decke hochgezogen sind, hat man sich diesen unnötigen Luxus hier gespart. So heizt der eine Ofen in der unteren Etage wenigstens das komplette Gebäude. Aber vielleicht sollen auch Schwangerschaften minimiert werden, da man es schon deutlich hört, wenn sich der Mitbewohner im Nachbarzimmer auch nur im Bett dreht.
Apropos Mitbewohner … Als wir hier ankamen war Anne, die hier im Büro arbeitet, aber auch sonst irgendwie alles macht, unsere einzige Mitbewohnerin und Kollegin. Sie bereitete uns einen herzlichen Empfang. Anne lebt schon länger in Kanada und konnte uns wertvolle Tipps geben, wie zum Beispiel, welche Schuhe im Winter am besten sind oder wo man am meisten Bier für sein Geld bekommt. Allerdings zog sie bald in eine kleinere, spartanische Cabin um, die sie für sich allein hat. Das hieß, dass wir die ersten zwei Monate so gut wie allein lebten.
Arbeiten muss auch mal sein
Als wir Ende August hier ankamen, waren wir die ersten 2 Wochen damit beschäftigt, Feuerholz zu machen. Die Winter sind hier schließlich lang. Dabei lernte ich den Umgang mit der Kettensäge. Naja, zumindest ein bisschen. Unser Chef Axel, der hier vor 14 Jahren aus Deutschland hergekommen ist, gab mir eine kurze Einführung. In einigen Punkten, wie zum Beispiel der Treue zum Reinheitsgebot, ist er sehr den deutschen Normen verwurzelt geblieben. In anderen nicht so. Jedem Arbeitsschutzbeauftragten wären wahrscheinlich die Augen aus dem Kopf gefallen. Jedenfalls habe ich mir am Abend ein offizielles Video von Stihl zum Umgang mit Kettensägen angeschaut und dort wurde so ziemlich vor allem gewarnt, was Axel mir zeigte. Aber da muss man wahrscheinlich irgendeinen Mittelweg finden. Jedenfalls flogen fast 50% der Bäume in die Richtung, in die sie fallen sollten. Schon mal eine ganz gute Quote, wie ich finde.
Ansonsten lassen sich Axels Prinzipien wie folgt zusammenfassen:
- Alles Idioten. (besonders Ingenieure, die einem mit unnötigen Auflagen das Leben schwer machen)
- Lieber um Verzeihung bitten, als um Erlaubnis fragen.
- Da müssen wir improvisieren. (auch, wenn der Graben einen halben Meter unter Wasser steht, lassen sich noch Abflussrohre verlegen)
- Zollstöcke und Strom* sind so heilig wie die Kuh in Indien!
*Strom wird hier aus Solaranlagen gewonnen. Da diese vor allem im Winter nicht ausreichen, muss zusätzlich ein Dieselgenerator angeschmissen werden.
Der nächste Auftrag war dann der Bau einer Kläranlage. Dazu mussten Caro und ich dann erstmal mit Hilfe von Laser und Fernglas Gefälle und Entfernung verschiedener Punkte auf dem Gelände ausmessen. Anschließend wurde die Sickergrube, die sich in 9 verschiedene und jeweils 31 Meter lange Gräben unterteilt, gebaut. Nachdem Axel die Gräben mit dem Bagger ausgehoben hatte, mussten sie mit 17 cm Sand gefüllt werden. Hier zeigte sich, wie weit man in Kanada schon mit der Emanzipation ist. Frauen dürfen hier genauso hart arbeiten wie Männer und in diesem Fall sogar wesentlich härter. Während Caro im Graben bei Wind und Wetter Schippen und Spitzhacken geschwungen hat, durfte ich im klimatisierten Traktor sitzen und den Sand durch die Gegend fahren. Pluspunkt für sie ist, dass sie dadurch mittlerweile so stark ist, dass sie mich ausheben kann.
4 der 9 Gräben haben wir geschafft, bevor der Frost kam. Beim Vorankommen war es jedenfalls wenig förderlich, dass immer wieder kleine Dinge wie beispielsweise Ventile fehlten und der Bau deshalb das ein oder andere Mal stoppte. Hier kannste nämlich nicht einfach mal zum Baustoffhandel um die Ecke fahren, sondern musst die besagten 320 Kilometer (eine Strecke) nach Williams Lake auf dich nehmen.
In der Zwischenzeit sammelten wir dann immer mal wieder wahllos auf dem Gelände befindliche Holzstapel ein oder versuchten uns am Trockenbau. Ich bin wirklich mal gespannt, ob die Kläranlage später funktioniert, trotzdem wir es waren, die sie vermessen haben und gebaut haben.
In den Genuss, die erste Stuhlprobe durch die PVC-Rohre zu jagen, werde ich nicht mehr kommen, da wir vermutlich nicht mehr hier sein werden, wenn der Boden aufgetaut ist. Caro ist nämlich auch in Kanada, um Englisch zu lernen und das klappt hier nur bedingt. Alle unsere Arbeitskollegen kommen nämlich aus Deutschland. Wir hatten zwar mal einen Engländer, der hier angefangen hat, allerdings hat er nach ganzen drei Tagen wieder seine Sachen gepackt. Auch deshalb suchen wir uns wahrscheinlich ab März nochmal eine andere Arbeitsstelle. Aber für den Moment läuft es hier gut und wir lernen eine Menge, vor allem zu improvisieren.
Freizeit am Arsch der Welt
Vielen würde hier oben wahrscheinlich schnell langweilig werden, wenn Kino, Kneipe oder Bordell mehrere hundert Kilometer weit entfernt sind. Allerdings weiß ich mich draußen gut zu beschäftigen und hatte deshalb hier noch nie Langeweile.
Angeln
Als Kind habe ich ab und zu mal ein bisschen geangelt. Letztes Jahr, auf meiner großen Radreise, hatte ich dann auch eine Angel dabei, die auf Grund von fehlender abendlicher Motivation allerdings nur selten zum Einsatz kam. Hier in Kanada habe ich das Angeln aber irgendwie „wieder-“entdeckt. Die bürokratischen Hürden sind hier allerdings wesentlich geringer als in Deutschland. Man zahlt umgerechnet ca. 25 € und darf dafür das ganze Jahr angeln. Wissen über Fische wird dabei nicht abgefragt. Ob das so gut ist, weiß ich nicht. Allerdings muss man wahrscheinlich durch die großen Fischbestände in den unzähligen Seen hier auch nicht allzu penibel sein.
Ich hatte jedenfalls anfänglich meine ganz eigenen Techniken entwickelt, um das begehrte Beutetier an Land zu ziehen. Hier bei uns vor der Haustür gibt es fast nur Forellen. Sobald eine auf meinen Spinner beißt, wird gefühlvoll angeruckt. Dank meiner Grobmotorik fliegt der Fisch dadurch meist schon im hohen Bogen ans Ufer. Jetzt kommt der entscheidende Kniff: Ich stürze mich mit einem Bodyslam, wie ihn Relaxo, eines meiner Lieblings-Pokemon aus Kindertagen, nicht hätte besser ausführen können, drauf und schnappe mir das Vieh, bevor es die Flucht ins kalte Nass antreten kann. Ich wette, der Weißkopfseeadler, der unseren Flussabschnitt ebenfalls befischt, lacht sich manchmal schlapp.
Mittlerweile angel ich aber eher wie ein Mensch und hab auch damit schon gute Erfolge erzielen können. Der größte Fisch war bisher ein Exemplar der Gattung „Dolly Varden“, dass 60 cm lang war und stolze 2 Kilo auf die Wage brachte.
Wandern
Fahrrad fahren ist hier draußen recht eintönig, wenn man kein Mountainbike hat. Entweder man fährt den Highway rauf oder man fährt den Highway runter. Für Wanderer ist die Chilcotin-Region bzw. der Tweedsmuir Provincial Park allerdings ein wahres Paradies.
Unser erstes Wochenende war, dank des kanadischen Tages des Christian A. (landläufig bekannt als „Tag der Arbeit“), bereits ein verlängertes. So gefällt mir das. Also wurde das Auto geschnappt und runter nach Bella Coola gefahren, wo wir dann mehrere kleine Wanderwege in der Umgebung abcheckten. Von Wasserfällen und Fjorden bis hin zu Regenwäldern gab es jede Menge zu sehen. Das Highlight war ein Schwarzbär, den wir von einer Wildbeobachtungs-Plattform aus dabei zusahen, wie er grad ein paar Lachse aus dem Fluss ziehen wollte. Allerdings zog er von dannen, als er uns bemerkte. Er spürte wohl auch, dass Caro noch kein Frühstück hatte und dadurch eine potenzielle Gefahr darstellte.
Auf dem Rückweg liefen wir dann noch den „Rainbow-Range-Trail“. Hier bekommt man für wenig Aufwand (16 km retour, 300 Hm) ein paar echt geile Ausblicke. Ich fand den Trail so gut, dass ich ihn zusammen mit Franzi, einer Pferdetrainerin, die zwischenzeitlich mal kurz hier war, nochmal gegangen bin. Allerdings haben wir uns am Ende des offiziellen Wanderwegs einfach einen Gipfel rausgepickt und sind diesen hochgekraxelt. Die Wegfindung war sehr abenteuerlich, da es die meiste Zeit durch Gestrüpp, dichten Wald, Sumpf oder über Geröllfelder ging. Allerdings ist das in Kanada so genannte „Backcountry-Hiking“ genau die Art von Wandern, die mir am meisten Spaß macht.
Kurz vor der Baumgrenze sahen wir dann noch die Hinterlassenschaften eines Bären, der seines Zeichens offenbar Beeren gegessen hatte. Auf die Fingerprobe, mit deren Hilfe wir hätten feststellen können, wann der pelzige Zeitgenosse denn hier defäkiert hatte, verzichteten wir in diesem Fall. Allerdings waren wir jetzt noch ein bisschen wachsamer.
Auf dem zuvor auserkorenen Gipfel angekommen, war die Aussicht atemberaubend. Auf über 2000 m. ü. NN konnte man die Rainbow-Range Bergkette gut überblicken. Die Berge erstrahlten bei prächtigem Sonnenschein in allen möglichen Farben. Lediglich der starke Wind sorgte dafür, dass es dann doch etwas frisch wurde. Am Ende des Tages dürften es ca. 27 Kilometer gewesen sein. Eine tolle Tour, die sicher zu meinen persönlichen Highlights bisher hier in Kanada zählt.
Ansonsten sind Caro und ich hier schon so einige kleinere Wanderwege in der Umgebung abgelaufen. Allerdings kann man sich nicht immer darauf verlassen, dass diese auch wirklich existieren, nur weil sie in einer Karte eingezeichnet sind.
Hoppe, hoppe Reiter
Zu Pferden hatte ich eigentlich nie irgendeine Beziehung. Die ziehen halt Kutschen, scheißen die Wege voll und schmecken ganz passabel. Auch, wenn ich wusste, dass es sie hier im Red Cariboo Resort gibt, waren sie kein ausschlaggebender Grund für mich, hierher zu kommen. Anfangs fand ich sie auch eher lästig, da die Viecher ja auch nicht unbedingt aus dem Weg gehen, wenn wir mit unserem Bobcat** durch die Gegend fahren.
**ein ATV, quasi unser Firmenwagen
Als Franzi dann aber ins Resort kam, war eine Pferdetrainerin da und damit bestand auch die Möglichkeit, zu reiten. Da wir allem Neuen gegenüber ja prinzipiell aufgeschlossen sind, versuchten wir es mal. Nach einem ersten Kennenlernen in der Manege ging es dann auch gleich los. Cookie hatte an diesem Nachmittag die schwerste Aufgabe und durfte mich durch die Wälder befördern, Irmgard schulterte Caro und Franzi führte die Karawane auf Leithengst Toni an. Ich hätte ja niemals gedacht, das Reiten so viel Spaß macht, also zumindest nicht auf einem Pferd.
Leider war Franzi nur sehr kurze Zeit da, weshalb wir nur zwei Ausritte unternahmen. Aber ich hoffe ja, dass die nächste Pferdetrainerin etwas länger bleibt, damit wir noch ein paar mal ausreiten können. Mittlerweile hat man auch eine gewisse Beziehung zu den Tieren aufgebaut. Ich bin mir nicht sicher, ob ich Pferd unbedingt nochmal essen würde. Man, ich hoffe, ich komme nicht so schnell dazu, auf `nem Schwein zu reiten, ansonsten vergeht mir noch der Frühstücksspeck.
Und sonst so?
Hier gibt es noch wesentlich mehr zu tun als zu wandern, zu reiten und zu angeln. Als das Wetter noch etwas wärmer war, haben wir alle einen Campingausflug zum Charlotte Lake unternommen. Schöner kann ein Campingplatz eigentlich kaum gelegen sein, aber seht selbst…
Campingplatz kann man eigentlich nicht sagen. Wir übernachteten auf einer so genannten „Recreation Site“. Davon gibt es eigentlich an fast jedem Tümpel hier in der Region mindestens eine. Diese meist kostenlosen oder sehr günstigen Übernachtungsmöglichkeiten verfügen in der Regel über Feuerstellen, Plumsklos und Stellplätze für Zelte oder Autos. Also schon mal weit über meinem Standard. Hier verbrachten wir bei köstlichem Linsen-Daal und Garlic-Naan, dass über dem Feuer zubereitet wurde, einen wunderschönen Abend.
Als wir dann am nächsten Morgen vergebens den Einstieg in einen nahe gelegenen Wanderweg suchten, schenkte uns eine Frau erst ihr „Backroad-Map-Book“, weil sie überzeugt war, dass wir es dringender brauchen. Auch eine kleine Schreckschusswaffe zum Bären vertreiben wechselte unentgeltlich den Besitzer, das sie der Meinung war, dass Bärenspray alleine nicht genug ist. Wären wir noch 10 Minuten länger geblieben, hätten wir jetzt wahrscheinlich ein schönes Wohnmobil. Hach, diese Kanadier.
Zu meinem Geburtstag machten wir ein kleines bisschen eher Feierabend und aßen jeder ein Stück Torte. Mit Axel, der sich zu uns gesellt hatte, kamen wir irgendwie auf diese wilden Hühner zu sprechen, die hier ständig durch die Gegend laufen. Eh ich mich versah, saßen wir auch schon samt Schrotflinte in seinem ATV und schafften es nach einer Weile auch, zwei von ihnen zu erlegen. Das Abendessen war gesichert. Schmeckte vorzüglich. Fast wie Wild. Mein Kumpel Schlinkmann prophezeit mir immer, dass ich irgendwann in den Everglades leben und zusammen mit irgendwelchen Rednacks Schnapsschildkröten jagen werde. Naja, wir kommen der Sache zumindest schon mal näher…
Klasse!
Mehr davon 🙂
Danke dir!
Ich geb mein Bestes 😉