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Die letzte Etappe – Mit dem Fahrrad durch Südschweden und Deutschland

Beim Verfassen dieser Zeilen sitze ich bereits frisch geduscht auf dem heimischen Sofa. Ok, auf dem Sofa meiner Freundin, wo ich bis auf weiteres geduldet bin. Grade plagen mich fürchterliche Rückenschmerzen. Die weiche Matratze ist mein Körper wohl nicht mehr gewohnt. Ich denke darüber nach, die nächste Nacht auf dem Balkon zu verbringen. Die Wiedereingliederung in die Zivilisation erfolgte wohl ohne eine ausreichende Assimilationszeit. Doch beginnen wir von vorn…

Genug gesehen

Ich muss zugeben, dass nach dem Erreichen des Nordkaps bei mir eine Art Reisemüdigkeit bzw. auch eine Vorfreude auf das Heimkehren eingesetzt hat.

Glücklicherweise hatte ich keinerlei arbeitstechnische Verpflichtungen, welchen weite Teile des Proletariats ja bekanntlich unterlegen sind. Dennoch wollte ich gerne am 6. September zu Hause sein, da dort einer meiner besten Freunde auf dem heimischen Gehöft seinen 30. Geburtstag feiern sollte. Bei der noch zu bewältigenden Strecke hieß das jeden Tag strampeln, ohne sich unterwegs groß etwas anzugucken. Also kann ich dieses Mal mehrere Wochen recht knapp zusammenfassen. So viel ist schließlich nicht mehr passiert.

Ein Highlight, welches mir Lars-Göran empfohlen hatte, wollte ich dann aber doch nicht auslassen. Es geht um den Skuleskogen Nationalpark. Dieser liegt in der Höga Kusten (Hohe Küste)-Region und bietet eine sehr abwechslungsreiche Landschaft mit einer wunderschönen Steilküste. Am Nordeingang des Nationalparks schloss ich mein Fahrrad an und wanderte einen halben Tag durch die Gegend. Hier hätte man es durchaus auch länger aushalten können.

Da mein Fahrrad ja bekanntlich wieder in einem halbwegs guten Zustand und ich in nächster Zeit nicht unbedingt auf eine Werkstatt angewiesen war, beschloss ich, von Sundsvall an die Innlandsroute (entlang des Vätternsees) Richtung Süden zu nehmen. Zwar konnte man die Fernstraße E4, welche sich an der Ostseeküste entlangschlängelte, meist umfahren, allerdings mussten dabei einige unliebsame Schotterpisten in Kauf genommen werden. Die Inlandsroute konnte hingegen mit guten und wenig befahrenen Straßen aufwarten.

Die Landschaft war von nun an, wie man es sich eigentlich in Schweden vorstellt. Hügel, dunkelrot gestrichene Bauernhöfe und Seen. Das war durch die Bank weg sehr ansehnlich, aber bot auch nicht die Highlights, die mich regelmäßig zum Absteigen und Fotos schießen bewegten.

Die langweilige schwedische Landschaft

All-U-Can-Eat

Ein echtes Highlight, speziell bei Radreisen in Schweden, sind die unzähligen Buffet-Restaurants. Hier bekommt man um die Mittagszeit (ca. 11-15 Uhr) reichhaltige Buffets, teilweise sogar mit Getränken, für sehr wenig Geld. Ich habe hier zwischen 8 und 10 Euro gezahlt. Die Auswahl ist groß. Von traditioneller schwedischer Küche mit Fischfilet und Köttbullar bis zum gemischten Asia-Buffet ist alles dabei. Auch die Qualität stimmte in der Regel.

Diese Angebote nahm ich oft wahr. Die ungläubigen, ja geradezu entsetzten Blicke der Gastwirte bzw. meiner Begleitungen, als ich nach Teller Nummer 4 immer noch nicht zur Nachspeise übergehen wollte, waren dabei unbezahlbar. Man verbrennt halt viele Kalorien, wenn man jeden Tag Fahrrad fährt. Am Ende der Reise standen trotzdem knapp 20 Kilo weniger auf der Waage, als zu deren Beginn.

Zum Glück isst nicht jeder so viel wie ich, ansonsten wären diese Preise wohl nicht zu halten. Außerdem konnte ich oft nur mit dem Kopf schütteln, als ich das eklatante Fehlverhalten der schwedischen Nahrungsmittelkonkurrenten beobachtete. Diese stopften sich nämlich die Bäuche mit großen Mengen an Sättigungsbeilagen wie Reis oder Nudeln voll. Dabei weiß man doch, dass der Fokus bei einem Mittagessen nach dem All-You-Can-Eat-Prinzip eigentlich auf den hochwertigen Fleischwaren liegen sollte. Amateure!

Beim letzten Buffet ist mir noch ein kleines Missgeschick passiert, dass nicht verschwiegen werden sollte. Nach einigen Tellern feinster asiatischer Kost und 2 großen Schüsseln Softeis aus der Eismaschine wollte ich noch ein Glas Cola trinken, während mein Ladegerät die letzten Prozente in den Handyakku pumpte. Im Chemieunterricht habe ich leider selten aufgepasst. Dennoch hätte ich die nun folgende chemische Reaktion eigentlich aus den unzähligen Folgen „Galileo“ oder „Myth Busters“, welche ich in meiner Kindheit gesehen hatte, vorausahnen müssen. Wie aus einem menschlichen Vulkan schäumte es aus meinem Rachen. Ich konnte grade noch so aufs Klo rennen, ohne in dem Chinarestaurant eine Schaumparty zu veranstalten. Nachahmung nicht empfohlen.

Rückkehr in die Zivilisation

Je weiter ich nach Süden vordrang, desto größer wurden die Städte und auch das Umland war dichter besiedelt. Komischerweise ergaben sich jetzt auch weniger Gelegenheiten zum Couchsurfen. So kam es, dass ich meine längste Zeit, ganze 9 Tage, ohne Dusche absolvierte. Gewaschen habe ich mich dann meist mit meinem Kochtopf am Fluss oder bin, wenn möglich, in einen See gesprungen. Natürlich hätte ich auch eine Nacht auf einem Campingplatz übernachten können, aber ich wollte meine Serie schließlich aufrechterhalten. So schaffte ich es, in den 2 Monaten in Skandinavien mit einem Übernachtungsbudget von ganzen 8 € über die Runden zu kommen.

Die schlechte Körperhygiene machte sich aber auch anderweitig bemerkbar. Im Supermarkt sowie anderen öffentlichen Räumen mieden mich die Leute. Teilweise kam es mir sogar so vor, als gingen sie mir aus dem Weg und stellten sich bewusst an anderen Kassen an. Nun ja, Deutschland steuert bekanntlich grade auf eine Rezession zu. Sollte es in deren Folge zu einer Lebensmittelknappheit kommen, könnte diese Fähigkeit vielleicht nochmal nützlich werden.

Zukunftsgedanken

Bereits vor Beginn meiner kleinen Radtour bekam ich von Freunden und meiner Familie des Öfteren die Frage gestellt: „Willy, was machst du eigentlich nach deiner Reise?“ Selbstredend konnte ich darauf nie eine klare Antwort geben. „Das ist schließlich das Problem von Zukunfts-Willy.“, dachte ich mir.

Wenn man aber fast jeden Tag 100 Kilometer plus x fährt, hat man viel Zeit, sich Gedanken über die Zukunft zu machen.

Dabei entstanden die verschiedensten Ideen. Zu den realistischeren zählt wohl, dass ich irgendwo als Fahrrad- oder Wanderguide arbeiten würde. Hauptsache nicht mehr den ganzen Tag im Büro gelangweilt vor sich hin vegetieren. Ich könnte mir auch vorstellen, ein Buch über meine Reise zu schreiben. Ereignisreich genug war es allemal, und wenn ihr immer noch mitlest, kann es euch ja noch nicht zu Tode gelangweilt haben.

Weitere, sagen wir mal unkonventionelle, Ideen entstanden ebenfalls. Die Regierung stürzen? Ein Kinderbergwerk leiten? Vielleicht sollte ich auch einfach mal den Tamagotchi falsch füttern und dabei versehentlich `ne App entwickeln, die Spotify, Google und Facebook ersetzt. Wer weiß schon, was die Zukunft bringt?

„Anarchism is the revolutionary idea that no one is more qualified than you are to decide what your life will be.“

Überraschung

Ein paar Tage bevor ich Ystad erreichte, von wo aus ich eine Fähre nach Swinemünde nehmen wollte, fiel mir auf, dass ich ja erstaunlich gut in der Zeit lag. So gut, dass sogar ein Überraschungsbesuch bei einem Auswärtsspiel meines Fußballvereins, Energie Cottbus, drin war. Also fror ich sämtliche Social Media-Aktivitäten für die letzten Tage ein und machte mich dann doch über Trelleborg, nach Rostock und weiter auf den Weg nach Rathenow. Dort kam ich bereits einen Tag vor dem besagten Kick an und wurde sehr nett von Verwandten in Empfang genommen, die ich über 20 Jahre nicht gesehen hatte. Der erste Tag Pause seit einer gefühlten Ewigkeit. Das tat richtig gut.

Am nächsten Tag staunten dann meine Freunde und meine Freundin nicht schlecht, als ich mit vollem Gepäck am Gästeblock vor fuhr. Überraschung geglückt, würde ich sagen. Auf diesen Moment und den Anblick der erstaunten Gesichter hatte ich mich jetzt schon eine ganze Weile gefreut.

Die letzten beiden Tage begleitete mich dann TomEx. Ihr erinnert euch, Schnee im Mai und so. Entspannt legten wir in zwei Tagen die verbleibenden 240 Kilometer nach Bad Muskau zurück.

Hier angekommen, wurde ich von meinen Freunden begrüßt, der Grill wurde angefeuert und das erste Landskron seit einer halben Ewigkeit in den Rachen gestellt.

Was bleibt?

Nun blicke ich auf meine erste mehrtägige Radreise zurück. Diese ist dann auch gleich etwas länger geworden. Ich habe einige sportliche Herausforderungen meistern müssen. In Erinnerung bleiben dabei z. B. der heftige Sandsturm, der zu Beginn meiner Reise in Polen wütete, die Berge und der Wind in Norwegen oder die langen Sandwege bei 30 Grad in Lappland. Der angenehme Nebeneffekt war aber, dass ich jetzt wahrscheinlich so fit bin, wie noch nie zuvor.

Auch mental wurde mir einiges abverlangt. In Weißrussland beispielsweise, waren meine nicht vorhandenen Russischkenntnisse das ein oder andere Mal gefragt, und auch mit den dortigen Behörden war es nicht immer so einfach.

Letztendlich überwiegen aber natürlich die positiven Erinnerungen. Es war eine nahezu perfekte Reise. Noch besser, als ich es mir vorher erhofft habe. Ich habe viele tolle Menschen, kulinarische Spezialitäten und kulturelle Besonderheiten kennengelernt. Dabei war es mir viel wichtiger, mit den Leuten vor Ort in Kontakt zu kommen, als jede Sehenswürdigkeit des letzten Provinzstädtchens kennenzulernen. Wiederum habe ich auch die Zeit alleine im Wald oder am See genossen. Einfach mal für sich sein, nackt am Feuer sitzen, einen frisch gefangenen Fisch grillen und mit den Bäumen reden. Herrlich!

Die Frage, wo es mir am besten gefallen hat, kam nach meiner Rückkehr immer wieder auf. Das kann ich natürlich nicht so pauschal sagen. Am exotischsten war es sicherlich in Weißrussland. Landschaftliche Highlights gab es vor allem in Skandinavien zu bewundern. Das Baltikum hat mich persönlich nicht so vom Hocker gerissen, aber das ist sicher Geschmackssache. Schön war es jedenfalls überall. Eine Frage kann ich aber ziemlich sicher beantworten. Nein, das war nicht meine letzte Radreise!

Hier zum Abschluss noch ein paar statistische Eckdaten zu dieser Tour (ohne Gewähr):

  • Reisetage: 138 (137 Nächte)
  • Strecke zurückgelegt: ca. 8.800 Kilometer (Kilometerzähler kaputt, daher vorsichtige Schätzung)
  • Bereiste Länder: 9
  • Nächte in Hostels o. ä.: 22 (davon 13 mit/wegen Besuch)
  • Nächte auf dem Campingplatz: 10
  • Nächte bei Privatpersonen (kostenlos): 37
  • Nächte Wildcampen: 68
  • Platte Reifen: 0
  • Felgen hinten: 3
  • Besucher/innen aus der Heimat: 5
  • Besuchte Fußballspiele: 16
  • Verlorenes Körpergewicht: knapp 20 Kilo
  • Ausgegebenes Geld: wenig

Danksagung

Last but not least geht hier nochmal ein fetter Dank an alle meine Unterstützer raus!

Danke an alle Leser, Kommentierenden und die nicht vorhandenen Kritiker dieses Blogs!

Danke an die Jungs vom Fußball für die geile Verabschiedung!

Danke an Spot für das Sponsoring und der damit verbundenen Ruhigstellung meiner Mutter!

Danke an alle, die einfach mal nachgefragt haben, wie es mir so geht und wo ich bin!

Danke an alle Mitradler und an die Leute, die mich unterwegs besucht haben!

Danke an meine Familie, die mich für meinen unkonventionellen Lebensstil noch nicht verstoßen hat und mir technisch und organisatorisch immer beratend zur Seite stand.

Danke an alle tödlichen Infektionskrankheiten, welche mich trotz fragwürdiger Körperhygiene nicht befallen haben!

und

der größte Dank geht an meine Freundin Caro, die meine Reisen zumindest toleriert, nebenberuflich als meine Sekretärin tätig ist und mich immer unterstützt, sei es auch manchmal mit einem Augenrollen!

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