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Finnlands wilder Osten und Lappland mit dem Fahrrad

Mit einer neuen Idee im Kopf und durch die vermeintlich viel schönere Route wachte ich noch motivierter auf als sonst. Antti servierte ein außergewöhnlich gutes und reichhaltiges Frühstück. Neben Brot, verschiedenen Käsesorten und Eiern gab es auch seine spezielle Kombination aus Haferbrei, Hüttenkäse und gefrorenen Blaubeeren. Super lecker! Und wenn er es schafft, damit hunderte Kilometer am Stück zu fahren, kann es ja nicht so verkehrt sein.

Ich bleibe in der Familie

Nach dem Frühstück säuberte ich in Antti’s Garage meine Kette und wir redeten noch über ein bis zwei fahrradspezifische Themen, als plötzlich seine Eltern in die Einfahrt fuhren. Sein Vater spricht etwas Englisch und nachdem wir zwei, drei Sätze wechselten und ich ihm meine weitere Route erläuterte, lud er mich kurzerhand zu sich ein.
Das passte sehr gut, da er in der Nähe von Isalmi, etwa 100 Kilometer nördlich von Koupio, wohnte. Bei solchen Einladungen zögere ich mittlerweile gar nicht mehr, sondern nehme umgehend dankend an. Manchmal muss man sein Glück halt auch einfach akzeptieren.

Antti’s Vater, Heikki, ist für sein Alter (75) immer noch sehr fit und fuhr mir sogar noch ein paar Kilometer entgegen, um mir den Weg zu seinem Haus, direkt am See gelegen, zu zeigen. Er und seine Frau haben es sich hier wirklich schön eingerichtet. Sogar ein eigener Tennisplatz war vorhanden.

Selbstredend wurde ich natürlich wieder vorzüglich verköstigt. Es gab neben Gegrilltem auch selbstgemachte finnische Plinze, die draußen über dem Feuer zubereitet wurden.
Vor dem Festmahl ging es aber nochmal gepflegt in die Sauna. Zwischen den Schwitzeinheiten wurden Bier und Żubrówka gereicht. Letzteren hatte Heikki von seinem polnischen Tenniskumpel bekommen. Allerdings mahnte er gleichzeitig auch zur Vorsicht vor dem Alkoholgenuss in Saunen. In Finnland kommt es nämlich gar nicht so selten vor, dass Betrunkene beim Saunieren einschlafen und dann nie mehr aufwachen. Auch in seiner Nachbarschaft gab es vor ein paar Jahren einen solchen Fall. Spoiler-Alarm, wir haben überlebt!

Am nächsten Morgen bekam ich dann noch ein Frühstück und so viel Essen mit, wie meine Fahrradtaschen fassen konnten.

Tulikartta – Hütten und Feuerstellen

Wie ich im ersten Teil meiner Ausführungen zu Finnland bereits erwähnt habe, kommt jetzt eine große Hilfe zum Finden von Übernachtungsmöglichkeiten.
In einem englischen Radreise-Forum habe ich mal etwas von der so genannten Tulikartta (z. dt. “Feuerkarte”) gefunden. Dies ist ein Open-Source-Project, in dem finnische Feuerstellen bzw. die dazugehörigen Hütten eingetragen werden können. Dabei gibt es sowohl kostenlose Hütten (die Mehrzahl), als auch solche, für die man zur Kasse gebeten wird. Letztere fielen für mich selbstredend aus dem Raster.

Tulikartta erlaubt es glücklicherweise nach den verschiedenen Hüttenarten zu separieren. Als ich bei Antti zu Gast war, zeigte ich ihm dieses, selbst für den langjährigen Outdoor-Enthusiasten und Fahrrad-Abenteurer neue und sehr nützliches Werkzeug. Er war auf Anhieb begeistert und erklärte mir die verschiedenen Arten von Behausungen.

Seine Beschreibungen will ich hier einmal zum Besten geben. Vielleicht helfen sie ja dem einen oder anderen bei der Planung seiner nächsten Wander- oder Radreise nach Finnland.

  • Laavu – Feuerstelle mit kleiner offener Hütte, meist ein gefüllter Holzschuppen und ein Klo. Laavus kommen mit Abstand am häufigsten vor und wurden von mir auch meist benutzt.
  • Kota – geschlossene Hütte mit Spitzdach, in der man Feuer machen kann. Besonders gut an regnerischen Tagen und besser gegen Mücken geschützt.
  • Nuotiopaikka – eine einfache Feuerstelle. Habe ich persönlich nicht benutzt, sondern selbst angelegt, wenn ich eine benötigte.
  • Paivatupa – Tageshütte, übernachten ist nur im Notfall erlaubt.
  • Autiotupa – geschlossene Schutzhütte für Wanderer. Meist in abgelegeneren, mit dem Fahrrad schwer zu erreichenden Gegenden. Ich habe keine aufgesucht, da meist eine Laavu oder Kota näher an der Straße gelegen waren. Allerdings wohl das beste in Bezug auf den Mücken- oder Kälteschutz.
  • Lintutorni – Turm zum Beobachten von Vögeln. Wenn man allerdings nichts anderes findet, auch zum Übernachten geeignet.

Ich habe in Finnland, nachdem ich Übung darin hatte, diese Karte richtig zu benutzen, fast nur in bzw. nahe solcher Hütten übernachtet. Meist, vor allem im Norden, habe ich trotzdem mein Zelt daneben aufgeschlagen, um einen verlässlichen Schutz vor den Mücken zu haben. Trotzdem bringt die Infrastruktur solcher Plätze eine ganze Reihe an Vorteilen mit sich.
Zum einen ist meist Feuerholz vorhanden. Das spart eine Menge Zeit. Ein Feuer am Abend ist schon wirklich eine feine Sache. Zum anderen hält es die Mücken fern. Weiterhin kann man viel Geld und Gepäck sparen, wenn man einfach über dem Feuer kocht. Meine kleine Gaskartusche, die ich in Helsinki erworben habe, reichte mir so für ganz Finnland.

Außerdem scheißt es sich, trotz aller Übung, die ich mittlerweile darin habe, auf einem Klo immer noch besser, als in einem Erdloch.

Russen mögen mich einfach

In all den Nächten, die ich in und um die hoch gelobten finnischen Schutzhütten verbracht habe, war ich seltsamerweise immer allein. Eine Ausnahme gab es dann aber doch. Als es mich, recht weit ab von der Straße, in den Hossa-Nationalpark verschlug, standen dort um das von mir auserwählte Domizil bereits etwa 10 andere Zelte sowie einige Schlauchboote. Offensichtlich hatte sich hier eine Rafting-Gruppe niedergelassen.

Da ich mein Rad allerdings schon so weit in den Wald befördert hatte, war umkehren keine Option. Also schlug ich ebenfalls mein Zelt auf. Das Lager der anderen sah recht verwahrlost aus. Es wurde lediglich von einem Typen bewacht, der in voller Tarnmontur auf der nahe gelegenen Holzbrücke stand und angelte.

Ich stellte mich kurz als neuer Nachbar vor und begann dann den verschwitzten Radlerleib im Fluss zu säubern. Da stand Jewgeni auch schon mit einer Flasche Wodka hinter mir und drängte mich dazu, jetzt doch endlich mit ihm zu trinken. Dabei war er in etwa so geduldig wie ein 5-jähriges Kind, dass an Heiligabend auf seine Geschenke wartet. Nachdem ich also halbnass in meine Klamotten schlüpfte und mich zu ihm ans Feuer gesellte, gab es erstmal einen gegen das Zittern. Der Typ erinnerte mich irgendwie, nicht nur äußerlich, an meinen Kumpel Stazec.

Dazu wurde mir ein feines Süppchen offeriert, in dem große Fischstücken schwammen. Da ebenfalls der Kopf des Tieres zu erkennen war, wusste ich, dass es sich um Hechtsuppe handelte. Den Fisch hatte er laut eigener Aussage am Nachmittag aus dem Fluss gezogen.
Nach einer Weile kam auch der Rest der Gruppe zurück von einer Wanderung. Die Kommunikation mit Jewgeni lief vorher eher mit Händen, Füßen und einem Mischmasch aus Russisch, Deutsch und Englisch ab. Nun waren auch Leute dabei, die fließend Englisch oder sogar Deutsch sprachen. Ich erfuhr, dass es sich um eine Gruppe eines kleinen russischen Reiseveranstalters handelte. Dieser ist vor ein paar Jahren aus einem Freundeskreis entstanden, der öfter zusammen zum Wandern oder Paddeln gefahren ist. Man hat also das Hobby zum Beruf gemacht.

Auch wenn ich mal wieder nur zufällig da war, wurde ich sofort sehr herzlich empfangen und mit allerlei russischen Spezialitäten verköstigt. Irgendwie zieht es sich wie ein roter Faden durch meine Reise, dass ich vor allem von Russen bzw. russischstämmigen Menschen angesprochen oder eingeladen werde. Weißrussen darf ich dabei natürlich keinesfalls vergessen. Da muss es wohl ein unsichtbares Band zwischen mir und den Ländern der ehemaligen Sowjetunion geben.

Beim gemeinsamen Frühstück gaben mir die beiden Guides der Gruppe noch Empfehlungen für Wanderungen in der Region. So entschied ich, nur einen halben Tag Fahrrad zu fahren und danach noch ein paar Schluchten zu Fuß zu erkunden. Falls ihr mal in der Gegend seid, empfehle ich eine Wanderung, dem, der das nötige Kleingeld hat, auch eine Kanufahrt, um den Julma-Oelkky See. Um diesen führt einer der schönste Wanderwege, die ich auf meiner Reise bisher gesehen habe.

Finnische Supermärkte – Freigetränke und einarmige Banditen

Zugegebenermaßen stellte ich mich darauf ein, in Finnland am Hungertuch zu nagen. Schließlich hört man ja immer, wie teuer doch Skandinavien sei. Wenn man nur mal zwei Wochen Urlaub macht, dann ist einem das vielleicht egal, aber bei einer längeren Reise muss man eben über so etwas nachdenken.
Positiv überrascht wurde ich allerdings von den hiesigen Supermärkten. Die Preise sind für viele Sachen in etwa wie bei uns. Manches ist natürlich teurer (z. B. Alkohol), anderes dafür relativ günstig zu haben.

Auch ein deutscher Discounter mit vier Buchstaben ist in Finnland mittlerweile sehr verbreitet und lohnt sich hier, wie es in der Werbung schon immer behauptet wird, wirklich. Zum einen ist er noch einmal günstiger als die finnischen Supermärkte, zum anderen gibt es ein paar Dinge aus der Heimat, die man nach so einer mehrmonatigen Radreise dann doch mal vermisst. Richtige Bratwürste wären da zum Beispiel zu nennen. Diese schlagen das finnische Pendant dann doch um Längen.

Außerdem ist es für Radfahrer sehr nützlich, dass es in fast allen Supermärkten ein Waschbecken gibt, wo man mit einem Schlauch seine Wasserflaschen auffüllen kann. Abgefülltes Trinkwasser zählt nämlich nicht zu den Dingen, die hier günstig sind. Ich nutzte es auch oft zur partiellen Verbesserung der Körperhygiene. Das ist aber bestimmt nicht jedermanns Sache.

Allerdings bürgen die hiesigen Konsumtempel auch so manche verstecke Gefahr. In ihrem Eingangsbereich stehen nämlich fast immer einige Spielautomaten, wie man sie oft in deutschen Kneipen findet. Das ist für mich eine recht befremdliche Kombination und eigentlich kein so schönes Umfeld zum Zocken. Vielleicht soll es die Spielsüchtigen ja vom Trinken fernhalten. Wenn man allerdings in deren verlebte Gesichter schaut, scheint diese Maßnahme nur bedingt erfolgreich zu sein. Jener deutsche Discounter mit den 4 Buchstaben treibt die ganze Sache sogar noch einen Schritt weiter. Hier kann man seine Pfandflasche wie gewohnt in den Automaten schieben und zwischen “auszahlen” und “Wetteinsatz” wählen.

Lappland – mehr als nur Mücken

Die endlosen Weiten Lapplands sind schon wirklich beeindruckend. Teilweise bin ich hier sehr kleine Straßen gefahren und hatte öfters ein bis zwei Tage keine Möglichkeit, einzukaufen.
Glücklicherweise scheinen die Fischbestände hier sehr reichhaltig zu sein und der ein oder andere Barsch diente der Aufwertung meines Abendessens.

Hier stellte ich auch meinen Entfernungsrekord auf. Auf einer 60 Kilometer langen Schotterpiste, welche durch sehr dichten Wald führte, wurde ich permanent von etwa 15-20 Pferdebremsen verfolgt. Bei den für diese Region sehr warmen Temperaturen von knapp 30 Grad Celsius fühlten sich die Biester so richtig wohl. Dies machte jeden Versuch, anzuhalten, um eine Mittagspause, welche schon am Anfang dieser Strecke einzulegen nötig gewesen wäre, unmöglich. Also fuhr ich durch. Eh ich dann einen geeigneten Schlafplatz gefunden hatte, standen mehr als 160 Tageskilometer auf dem Tacho.

Rentiere sieht man hier übrigens aller 5 Minuten. Mir scheint es so, als seien dies nicht die schlausten Tiere. Jedenfalls ließen sie sich meist ewig vor mir her treiben, bevor sie den Weg von der Straße rein ins Gebüsch fanden. Auf Autos reagierten sie hingegen überhaupt nicht. Ich bin kein Biologe, aber der Fortbestand dieser Tiere kann eigentlich nur durch deren gute Reproduktion gesichert werden.

Mein letzter Zwischenstopp in Lappland war dann bei Liisa, welche sowohl über Warm Showers als auch über Couchsurfing die einzige Gastgeberin in Inari war. An diesem Tag war ebenfalls Wojtek, ein polnischer Radfahrer, zu Gast. Wir gingen am Abend auf 2-3 Bier in das örtliche Pub und erlebten dort, etwas unverhofft, wirklich gute Live-Musik.
Auch wenn Inari eigentlich sogar noch kleiner als meine Heimatstadt Bad Muskau ist, so kam mir mein Aufenthalt hier nach so langer Zeit im Wald fast schon wie in einer Großstadt vor.

Die letzten, sehr bergigen, Kilometer zur norwegischen Grenze legte ich dann gemeinsam mit Wojtek zurück, da er das gleiche Ziel hatte.

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