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Ein stürmischer Beginn

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​Mittlerweile bin ich fast eine Woche unterwegs, also wird es Zeit, hier mal die ersten Tage Revue passieren zu lassen.

Losgeradelt bin ich von Bad Muskau aus über den Oder-Neiße-Radweg in Richtung Guben. Dort wartete bereits mein Kumpel, der ortsansässige Andy B. auf uns, um nochmal bei Bier und Schnitzel auf der polnischen Seite der Stadt „Lebewohl!“ zu sagen.

Auf UNS? Das wird sich der aufmerksame Leser jetzt fragen. Tatsächlich war ich in den ersten 3 Tagen nicht allein unterwegs. Ich wurde von meinem Kumpel Jerome begleitet. Darüber war ich echt froh, fährt dieser doch bereits seit Ewigkeiten mit dem Rennrad umher und hat damit auch schon einiges an Reiseerfahrung sammeln können. So konnte ich mir in den ersten Tagen noch den ein oder anderen Tipp erschleichen und den Windschatten ausnutzen, den er mir verschaffte.

Die ersten 3 Nächte wurde wild gecampt und dabei war ein Schlafplatz schöner als der andere. Es war immer Wasser in der Nähe, sodass auch der Köperhygiene nachgegangen und der Abwasch erledigt werden konnte. Lediglich mit der Versorgungslage unterwegs sah es nicht so gut aus. Da Polen ein sehr katholisches Land ist, waren ab Samstagmittag über Ostern die meisten Geschäfte geschlossen. Lediglich hier und da hatte mal eine Tankstelle oder ein Spätverkauf geöffnet. Dies sicherte zwar die Bierversorgung (bis auf den letzten Abend, da musste ich Klinken putzen, um Wasser zu kommen), schränkte das kulinarische Angebot jedoch stark ein. Daher kamen solch abenteuerliche Kombinationen wie Maischips und Dosenfisch zum Mittag oder Spaghetti und Dosenfleisch zum Abendbrot zustande. Aber bei einem Tagespensum von ca. 100 Kilometern und schwerem Gepäck schmeckt das dann schon – es war schon verrückt. Wir wären ja auch ins Restaurant gegangen, aber da war auch nichts auf. Selbst Hotels waren über Ostern teilweise geschlossen.

Als wir am Ostermontag an einem der wenigen offenen Läden vorbeikamen und eine kleine Pause einlegten, wurden wir Zeugen eines komischen Brauches. Nachdem der Priester die Leute wieder in die Freiheit entließ, stand auch schon die örtliche Feuerwehr bereit und eskalierte komplett.

Sie machten alle nass, die nicht bei “3” auf den Baum gesprungen sind. Da spielte es keine Rolle, was der Kirchenanzug gekostet hat. Nur uns unglaubig guckende Touris verschonte man netterweise. Keine Ahnung, was dort ablief. Vielleicht hat in der Kirche das Weihwasser nicht gereicht.

Nachdem sich Jerome dann am Dienstag aus dem Staub machte, begann bei mir zugegebenermaßen auch eine gewisse Aufregung einzusetzen. „Jetzt biste ganz allein.“

Um den Übergang zu erleichtern und da mir sowieso die Beine  und vor allem der Arsch schmerzten, entschied ich mich für eine kurze und vermeindlich einfache Tagesetappe. Es sollte nach Pila gehen. Das sind ca. 60 Kilometer von unserem letzten Lagerplatz aus gewesen. Tja, so einfach wie ich dachte, wurde es dann doch nicht. Der einsetzende Ostwind, oder sollte ich besser sagen – Sturm, machte mir das Leben zur Hölle. Teilweise war es so heftig, dass ich bergab fahrend noch ordentlich in die Pedalen treten musste, damit der Tacho eine zweistellige Geschwindigkeit anzeigt. Schlimmer war es sogar noch, wenn der Wind von der Seite kam. Dann drückte mich dieser in Richtung Straßenmitte. Das war nicht grade ungefährlich, zog doch das Verkehrsaufkommen nach den Feiertagen ordentlich an. Daher entschied ich mich, viel befahrene Straßen zu meiden und stattdessen dürftiger ausgebaute Feldwege zu nutzen.

Der Wind erzeugte an einigen Stellen Sandstürme. Ein bisschen stolz auf mich war ich dann aber doch, als ich an einer Gruppe leicht bepackter Mountainbiker vorbeigezogen bin. Diese schoben bereits ihre leicht bepackten Räder, während ich mit dem orangenen Panzer noch gegen den Wind ankämpfte.

Dementsprechend verwundert schaute auch die Kellnerin, als ich mich in einem relativ gehobenen Restaurant niederließ und fragte, wo ich denn mein bepacktes Reiserad abstellen könnte. Sie stammelte vorsichtig: „For take away?” Ich machte ihre Hoffnungen jedoch prompt zunichte. Als ich dann mein Essen bestellte und auf die Toilette ging, wurde mir klar, warum die junge Dame so verwundert war. Ich sah nicht so aus, als ob ich grade eine Radreise unternahm, sondern wie einer, den sie eine Woche im Bergwerk vergessen haben. Die mittlerweile 4 Tage ohne eine Dusche taten wohl ihr Übliches.

Duschen war dann auch das erste, was ich machte, als ich bei meiner Gastgeberin in Pila ankam. Diese fand ich übrigens über couchsurfng.com, eine Plattform, die ich sehr gerne nutze.

Am nächsten Tag hat der Wind noch immer nicht nachgelassen. Da ich weiter gen Osten musste, entschied ich mich, bis Bydgoszcz durchzufahren, auch wenn das wieder 110 Kilometer mit Schmerzen am Hintern bedeutete. Ja, ich hätte den Sattel vorher mal mehr als nur 5 Kilometer einfahren sollen.

Ca. 20 Kilometer vorm Erreichen der Stadt stellte ich fest, daß meine rechte Pedale total verbogen war. So`n Mist. Also legte ich fest, 2 Nächte in der Stadt zu bleiben. Schließlich musste die Pedale repariert werden und außerdem nutzte ich die Möglichkeit, die Dinge zu kaufen, die ich zu Hause vergessen hatte bzw. deren Nutzen sich mir erst auf der Tour erschloss.

Bydgoszcz stellte für mich eine riesige Überraschung dar – sehr schöne Altstadt, gutes Nachtleben. Das hätte ich so nicht unbedingt erwartet. Wenn ich meine SD-Karte in der Kamera gehabt hätte, dann wären sicherlich auch ein paar nette Fotos entstanden.

Ich hoffe, morgen geht es mit neuem Elan und vor allem ohne den nervigen Gegenwind weiter.

Dieser Beitrag hat 4 Kommentare

  1. Onkel Olaf

    Willy, aller Anfang ist schwer😁 Du wirst Dich aber durchwurschteln, sonst wäre ich ganz schön enttäuscht!

  2. Regina Weiß

    Hallo Willy! Wir drücken Dir in der Heimat die Daumen, dass alles unfallfrei klappt. Schreibe weiter so herzerfrischend. Es macht Spaß beim Lesen. Liebe Grüße Peter und Regina (aus der Nachbarschaft)

  3. Barto

    Hallo Willy, es macht Spaß deine Beiträge zu lesen. Ich hoffe Dir geht es gut und freue mich auf weitere Einträge. Lg Barto

  4. Willy

    Vielen Dank für die Kommentare. Freut mich, dass der Blog so viel Interesse weckt!

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