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„Mexican Standoff“ – Willy oder der Vulkan, wer explodiert hier zuerst?

Mexico City ist schon etwas Besonderes. Selten habe ich eine Stadt erlebt, die ich herausfordernder empfand. Zum Glück nahm mich mein Kumpel Octavio, der hier schon seit etwa 40 Jahren Fahrrad fährt, in Empfang und gab mir eine Tour durch die Metropole. So lernte ich einige der spezifischen Verkehrsregeln der mexikanischen Hauptstadt kennen. Wenn man auf einer Vorfahrtsstraße fährt und auf seiner Vorfahrt bestehen will, muss man den aus der Seitenstraße kommenden Fahrer wahlweise mit “Oi!”, “Amigo” oder “Pendejo” durch dessen geöffnetes Fenster anschreien.

Letzteres brachte ich mir selbst bei. Octavio ist dafür viel zu nett. Auch die Fahrradspuren sind interessant. Als Radfahrer in Mexico City teilt man sich die Spur immer mit den Bussen. Dabei verläuft diese entgegengesetzt der Fahrtrichtung der restlichen 4 oder 5 Spuren. So streng nimmt man das mit der Fahrtrichtung aber eh nicht. Und auch die Beschränkung auf Fahrrad und Bus wird nicht von jedem akzeptiert. So kommen auf der Fahrradspur auch gerne mal Motorroller, Taxis oder auch die Polizei entgegen und zwingen die Radfahrer zum rechts ranfahren. Eigentlich ein Wunder, dass ich dabei in zwei Wochen in diesem Molloch nur einen Jungen gesehen habe, der von einem Motorrad angefahren wurde und sonst keine weiteren Unfälle.

Octavio, Laura und Jacobo (v.l.) zeigen mir die Stadt.
Von oben wird einem das Ausmaß der Metropole erst richtig bewusst.

Die Generalprobe

Eigentlich wollte Rose ja über Weihnachten und Silvester nach Mexiko kommen. Da sie aber seit neuestem auf ihre Ausgaben achtet, um zukünftig komplett mit mir unterwegs sein zu können, verschoben wir das Wiedersehen auf Mitte Januar, da für dann die Flüge billiger waren.

In und um Mexiko City lässt sich die Zeit ganz gut herumbekommen. Mariachi Bands auf dem „Plaza Garibaldi“, das Mezcal- und Tequilamuseum direkt nebenan, der gigantische „Chapultepec-Park“, die Aussicht vom „Torre Latinoamericana“ und das Antropologische Museum mit seinem riesigen Maya-Kalender sind nur einige der Highlights, die die mexikanische Hauptstadt zu bieten hat.

Hier wurde Leon Trotsky mit einem Eispickel ermordet. Die verunglückte Arbeiter-Faust auf dem Foto kann man also auch falsch verstehen.


Etwas weiter außerhalb befinden sich noch die Pyramiden von „Teotiuacan“. Diese beeindruckende Tempelanlage besuchten wir zum Glück unter der Woche. Die Menge an Souvenir- und Getränkeständen lässt lediglich erahnen, was hier am Wochenende los sein kann. Um eifrigen Händlern, aber auch Taxifahrern oder Scheibenwäschern glaubhaft zu signalisieren, dass man kein Interesse an deren Leistungen hat, reicht es keinesfalls, dies nur verbal zum Ausdruck zu bringen. Das einzig wirkungsvolle Signal ist das Hin- und Herbewegen des Zeigefingers bei gleichzeitigem Schütteln des Kopfes. Damit wissen die Adressierten gleich, das man sich auskennt und lassen in der Regel von intensiveren Werbeversuchen ab.

Die Pyramiden waren ein absolutes Highlight und liegen sind nur eine kurze Busfahrt von Mexico City entfernt

Souvenirstände sind in Mexiko keinesfalls nur für Ausländer gedacht. Ganz im Gegenteil. Mexikaner, die generell sehr gern im eigenen Land reisen, lieben es, sich mit diversem Tinnef einzudecken, den sie nie wieder angucken werden. Das geht von Jaguarschreien imitierenden Pfeifen über Kühlschrankmagneten bis hin zu bedruckten Plastikbechern, die gleich mit dem Cocktail der Wahl gefüllt gekauft werden können. Neben Motiven der alten Maya sind bei letzterem vor allem eher optimistisch konstruierte Imitationen des männlichen Gemächts außerordentlich beliebt.

 

Fazit unserer bis dato längsten gemeinsamen Reise war, dass wir miteinander so viel Spaß haben können, wie sonst mit niemand anderem. Ich glaube sogar, dass ich es in dieser stressigen Umgebung mit niemandem sonst zwei Wochen ausgehalten hätte. Letzte Zweifel, sofern sie unterbewusst noch vorhanden waren, waren damit ein für allemal beseitigt. Ich konnte es kaum erwarten, bis Rose mich im April dann endgültig begleiten sollte. Fazit war aber auch, dass wir solche Metropolen wie Mexiko City in Zukunft meiden oder unseren Aufenthalt verkürzen sollten. Es war einfach zu voll. Zur Rush Hour standen an manchen Buslinien 50 bis 100 Leute an. In der U-Bahn konnte man quasi nicht umfallen und das Ein- und Aussteigen glich einem riesigen Mosh Pit. Ans Auto- oder Taxifahren war bei den Staus eh nicht zu denken. Anfangs war der Trubel interessant und beeindruckend. Aber nach 2 Wochen hatte ich einfach keine Geduld mehr für die Hektik Mexico Citys. Wenn ich hier dauerhaft leben würde, nehme das kein gutes Ende. Ich würde früher oder später explodieren. Nach langer Zeit des Lebens fernab der Zivilisation in Kanada, Australien oder Sachsen, komme ich mit solchen Großstädten nicht mehr wirklich zurecht.

Wir haben in Tepoztlan eine Auszeit von der Hektik der Großstadt genommen, wo uns Liss und Estefany herumführten.
Bier mit Mango Slushy und Tequila. Tatsächlich ziemlich lecker.

Ein Privater Tourguide


Octavio, den ich eingangs bereits erwähnt hatte, war der perfekte Ansprechpartner für alles in und um die mexikanische Hauptstadt. Er hat sein ganzes Leben hier verbracht und gehört zu den besten und hilfsbereitesten Menschen, die ich jemals getroffen habe. Er zeigte uns die kulinarischen Highlights der Gegend, wusste viel über die Geschichte zu erzählen, gab uns eine Stunde im traditionellen „Cumbia“, der hier von den Menschen überall nachts in den Parks getanzt wird, und ließ uns für die zweite Hälfte unseres Aufenthaltes sogar im momentan nicht regelmäßig bewohnten Apartment seiner Eltern übernachten. Das Beste dabei war, dass Octavio nur vereinzelte Worte in Englisch spricht.

So unterhielten wir uns hauptsächlich auf Spanisch. Dabei hatte ich das Gefühl, dass es mir sehr half, mich immer mit derselben Person zu unterhalten. Noch dazu mit jemandem, der sehr interessiert ist, sich mit mir zu unterhalten und sich deshalb besonders bemüht, langsam zu sprechen. Mein Spanisch hat sich in dieser Zeit deutlich schneller verbessert, als zuvor. Drei Sprachen sind dann aber doch zu viel und so fing ich öfter aus Versehen an, Rose auf Deutsch anzureden.

Bootstour in Xochimilco…
…der mexikanische Spreewald…
…nur ein wenig lauter und rabiater.
Ihr erstes Fußballspiel sah Rose im berühmten „Estadio Azteca“.

Dünne Luft statt Smog

Nachdem Rose den Heimweg angetreten hatte, ging es erstmal alleine mit dem Fahrrad weiter. Obwohl, so allein war ich dabei gar nicht. Mit dabei war Darius. Den Bodenseeaner traf ich bereits während meines Aufenthaltes in Baja California. Seine Geschichte ist aber anders, als die der meisten anderen Radreisenden. Darius hatte mit 15 einen Hirntumor von der Größe einer Kartoffel. Als dieser dann im letzten Moment entfernt wurde, hatte er riesiges Glück, überhaupt überlebt zu haben. Anschließend prognostizierten ihm aber die Ärzte ein Leben voller Einschränkungen. Er könne froh sein, wenn er eines Tages wieder halbwegs normal laufen kann.

Tatsächlich war es für ihn ein langer Weg und viele Dinge musste er wieder komplett neu lernen. Aber er gab nicht auf und kann inzwischen motorisch wieder fast alles, außer fliegen und unsichtbar werden. Seit ein paar Jahren kann er sogar wieder auf dem linken Bein hüpfen. Allerdings erfordern manche Dinge von ihm eine Menge Konzentration, wodurch er manchmal am Ende einer Etappe mehr mental als physisch geschafft ist.

Sicherlich ist eine Radreise von Kanada nach Argentinien für die meisten Menschen „die Tour des Lebens“, die einem alles abverlangt. Mit seiner Vorgeschichte und den noch bestehenden Einschränkungen, hat er aber von mir nochmal eine extra Portion Respekt verdient. „Diese Story muss doch eigentlich verfilmt werden!“, denkt sich jetzt der aufmerksame Leser. Das dachten auch andere Menschen und so arbeitete Darius, zumindest als wir uns trafen, an einer Doku für die ARD.

 

Checkt gerne mal hier seine Seite aus.

Darius und ich beim Fahrradmechaniker.

Zwischen zwei Giganten

Octavio ließ es sich nicht nehmen, die zwei riesigen Deutschen, die auf Fotos immer ein wenig wie seine Personenschützer aussahen, sicher aus der Stadt zu eskortieren. So viele Minuten pro Kilometer, wie beim Verlassen Mexiko Citiys, brauchte ich ansonsten nur sehr selten. Ständig mussten wir irgendwelche mehrspurigen, stark befahrenen Straßen nehmen, die Fahrräder über Holperpisten manövrieren, durch stark besuchte Märkte schieben, die hier wie Pilze aus dem Boden schossen und einmal durften wir sogar die voll beladenen Drahtesel über einen hohen Zaun heben, der einfach mitten über den Radweg ging.

 

Nachdem wir die Metropole dann hinter uns gelassen hatten, fiel uns die frische Luft auf. Endlich mussten wir keinen Smog mehr einatmen. Da Mexiko City von Bergen umgeben ist, können sich die Abgase, welche von den über 20 Millionen Einwohnern der Metropolregion produziert werden, richtig schön sammeln. Nach dem ersten Aufstieg raus aus dieser „Schüssel“ kann man den Smog sogar richtig sehen. Octavio ist das seit seiner Kindheit gewohnt, aber wir bekamen dadurch schon ordentliche Probleme. Manche Touristen klagen sogar über Kopfschmerzen und Nasenbluten, wenn sie dort verweilen.

Meine Begleiter


Je höher wir uns in Richtung „Paso de Cortes“ zwischen den beiden beeindruckenden Vulkanen „Popocatépetl“ und „Iztaccihuatl“ hinaufschraubten, desto mehr bekamen wir jedoch schon wieder ein Problem mit der Luft. Diese war zwar sauber, wurde aber auch dünn. Besonders die letzten Kilometer auf dem fast 3700 Meter hohen Bergpass machten mir stark zu schaffen. Insbesondere nach einer zweieinhalbwöchigen Pause vom Pedalieren und ohne Zeit, sich an die Höhe zu gewöhnen, geschweige denn die Chance, die durch Abgase angesammelten Teerbrocken aus der Lunge zu husten, fiel mir das Atmen dann doch deutlich schwerer. Darius hatte damit nicht so die Probleme. Allerdings plagten ihn dafür heftige Kopfschmerzen.

Der gerade sehr aktive Popocatépetl (5452m)…
…und der Iztaccihuatl.

Die beiden Vulkane mit den nicht ganz einfachen Namen waren mehr als nur beeindruckend. Man konnte sich an den beiden Giganten gar nicht sattsehen. Vor allem der Popocatépetl war an diesen Tagen sehr aktiv. Ständig spuckte er Asche, was man dank Sternenhimmel und Mondlicht sowohl am Tag als auch in der Nacht aus sicherer Entfernung beobachten konnte. Direkt oben am Pass gibt es eine Polizeistation, wo wir etwas Trinkwasser bekamen, und eine kostenfreie Möglichkeit zum Campen. Trotzdem ich zu dieser Zeit lediglich Sandalen besaß, hatte ich am Abend die wenigsten Probleme mit der Kälte. Die anderen froren dann doch sehr stark bei leichten Minusgraden und waren frühzeitig im Zelt, während ich noch mit Rose telefonierte und mir einfach eine halbe Ewigkeit dieses wunderschöne Naturschauspiel anschaute.

Auch schön bei Nacht.

Taco Tuesday Everyday

Beim Warmbleiben könnten auch die 133 von Hand abgezählten Tacos geholfen haben, die ich mir während meiner Zeit in Mexiko von verschiedenen kleinen Straßenständen und Restaurants zwischen die Kiemen gehauen habe. Ob mit Fisch, Schrimps, Fleisch vom Drehspieß und Ananas, Schweinefuß, Rinderhirn oder -Magen (ehrlich gesagt, mein Favorit), wenn man Fahrrad fährt ist das einfach der perfekt dosierbare Snack und sie sind sehr günstig. In den 133 Stück sind noch keine Quesadillas, Gorditad oder andere ähliche Dinge enthalten und auch nichts, was ich mir selbst in einen Tortilla gepackt habe, sondern wirklich nur Tacos, die an Ständen und in Restaurants gekauft wurden.


„Take a rest!“ im Liebesnest

Nach der kalten Nacht verabschiedeten wir uns von Octavio. Der musste wieder zurück nach Hause. Jetzt waren Darius und ich wieder auf uns allein gestellt. Während es sich den Pass hinauf auf einer kaum befahrenen Asphaltstraße super entspannt fahren ließ, war die Abfahrt auf der anderen Seite mit einer schlechten Schotterpiste, auf der viele Quads und Geländewagen unterwegs waren, weniger schön. Auch der nächste Abschnitt südlich von Puebla war nicht so toll. Das so genannte „Triangolo Rojo“ wird von einer Bande dominiert, die früher damit beschäftigt war, Ölpipelines in der Gegend anzuzapfen. Da diese jetzt zu stark gesichert sind, mussten eben neue Geschäftsfelder erschlossen werden. Ganz hoch im Kurs steht wohl das Überfallen von LKWs auf Parkplätzen. 2020 sah sich dann sogar die mexikanische Bundespolizei dazu gezwungen, die Kontrolle über diese Gegend zu übernehmen, da die Gewalt sehr stark ausuferte.

An sich haben wir uns tagsüber nicht unsicher gefühlt und nachts dann für ein paar Tage immer ein Hotel genommen. Günstig sind hier vor allem Stundenhotels, die von Paaren, welche zu Hause auf Grund des Wohnens in Mehrgenerationenhaushalten die fehlende Privatsphäre fürchteten, oder manchmal auch nur von jeweils einem halben Paar für einige Stunden gemietet wurde. Allerdings gab es auch immer Deals für 12 oder 24 Stunden. Da hier viele Gäste nicht unbedingt erkannt werden wollen, kann man ein Zimmer mit Garage mieten und dort mit seinem Auto mit getönten Scheiben direkt unter dem Liebesnest parken. Selbstredend gibt es hier ideale Abstellmöglichkeiten für Fahrräder. Und wenn man nicht unbedingt seine Schwarzlichtlampe mitbringt und geräuschunterdrückende Kopfhörer sein Eigen nennt, kann man hier wirklich ganz gut und sicher übernachten.

 

In dieser Gegend haben wir also, wie auch schon im Rest des Landes, keine negativen Erfahrungen gemacht. Der Verkehr war schon ziemlich intensiv. Aber wir haben ihn deutlich besser bewältigt, als die ca. 15 toten Hunde, die hier jeden Tag am Straßenrand lagen. Das war ein weniger schöner Anblick.

 

Nach dieser nicht so schönen Gegend zeigte sich Mexiko auf dem Weg nach Oaxaca dann wieder von seiner schönsten Seite. Weite Wüstenlandschaften, kaum Verkehr und nette Menschen.

Mittagspause mit Ausblick.
In Oaxaca sind wir dann bei Margaux für ein paar Tage untergekommen.


Mexiko – ein Fazit

Bevor ich nach Mexiko gekommen war, hatte ich gemischte Gefühle. Auf der einen Seite freute ich mich auf die lebhafte Kultur und das tolle Essen. Auch die Mexikaner, die ich bis dato getroffen hatte, waren alle super nett. Allerdings war ich auch etwas nervös, was die Frage der Sicherheit angeht. Ist Wildzelten hier möglich? Wie ist die Infrastruktur? Wie gefährlich der Straßenverkehr?

 

Natürlich gibt es hier viel Kriminalität und einige Städte mit den höchsten Mordraten überhaupt. Und das ist auch mehr als schlimm und traurig für die hier lebenden Menschen. Das habe ich ja schon im vorangegangenen Blog beschrieben. Allerdings habe ich nie irgendwelche gefährlichen Situationen erlebt.

 

Ich kann sagen, dass ich mich 99% der Zeit absolut sicher und vor allem sehr willkommen gefühlt habe. Die Menschen sind echt nett. Octavio und Emmanuel sind dafür nur zwei Beispiele, aber die riesige Gastfreundschaft ist mir hier unzählige Male zuteil geworden. Außerdem, und das ist für mich immer eines der wichtigsten Dinge, war das Essen phänomenal. Mexikanische Restaurants in Europa haben mich nie vom Hocker gehauen. Was man hier allerdings neben den Tacos so alles bekommt, kann sich schon sehen lassen. Ob Mole (eine Art Gulasch mit Schokoladensauce), Escamoles (Ameisenlarven) oder Nopal (ein Kaktus, der oft als Beilagensalat zubereitet wird), hier gibt es (noch) viel zu entdecken.

 

Mexiko, bis bald!

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