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Ab in den Süden

Bevor ich am Nordkap zu heimisch wurde, entschied ich mich, nach 2 Nächten dort den Rückweg anzutreten. Die anderen Radler, die ich hier getroffen habe, entschieden sich, entweder mit dem Bus zurück in die nächst größere Stadt zu fahren oder bei Wohnmobilen nach einer Mitfahrgelegenheit zu fragen.

Also musste ich alleine weiter. Schließlich kam für mich keine dieser beiden Varianten in Frage, will ich doch die gesamte Strecke (bis auf den Teil, der über das Wasser führt) aus eigener Kraft zurücklegen. Dabei geht es nicht darum, jemanden etwas zu beweisen, sondern nur um meinen persönlichen Ehrgeiz. Wenn ich es so weit geschafft hatte, dann brauche ich auf dem letzten „kleinen Stückchen“ auch keine Hilfe.

Rauch und Rippen

Zunächst einmal hieß es nun, den kurzen aber bergigen Rückweg nach Honningsvåg hinter mich zu bringen. Mit ordentlich Rückenwind und halbwegs klarer Sicht machte das doch gleich viel mehr Spaß, als der Hinweg vor ein paar Tagen. Waren die Gegenwinde seiner Zeit noch so stark, dass man selbst beim Bergabfahren ordentlich in die Pedale treten musste, um einigermaßen voranzukommen, waren jetzt problemlos Geschwindigkeiten von 70 km/h möglich.

Als ich nach einer ganzen Weile mal wieder die Möglichkeit hatte, zu duschen, fielen mir merkwürdige Veränderungen an meinem Körper auf. Irgendwelche Beulen ragten da auf einmal aus der Seite heraus. Bei genauerem Hinsehen stellte ich fest, dass es sich um Teile meiner Rippen handelt, welche wohl durch die Strapazen der letzten Wochen langsam zum Vorschein gekommen sind. Das ist etwas völlig Neues für mich. Seitdem ich im zarten Alter von 4 Monaten bereits die 10-Kilo-Marke geknackt habe, waren diese Knochenpartien sorgfältig vor Sonnenlicht geschützt gewesen.

In der Notwendigkeit des erneuten Passierens des Nordkap-Tunnels begründeten einige meiner Mitradler das Umsteigen auf den motorisierten Verkehr. Mich störte ja der Tunnel schon beim ersten Mal nicht so wirklich. „Warum sollte es jetzt anders sein?“, fragte ich mich und trat die knapp 7 Kilometer lange Fahrt unter dem Meer an. Bis zum ersten Drittel des Anstieges ging auch alles gut. Plötzlich überholte mich jedoch ein kleiner PKW. Ich sah schon im Augenwinkel, dass er mit Warnblinkanlage fuhr. Als er dann an mir vorbeizog, merkte ich auch, warum. Die Karre qualmte stärker als Helmut Schmidt zu seinen besten Zeiten. Vermutlich irgendein Trottel, der noch nie zuvor im Gebirge Auto gefahren ist und auch die Schilder am Tunneleingang, welche ausdrücklich das Einlegen eines tiefen Gangs vorschrieben, missachtete.

Ich kam jedenfalls aus dem Husten nicht mehr raus und auch mit der Sicht sah es nicht so rosig aus. Ich strampelte noch bis zur nächsten Haltebucht und wartete, bis sich der Rauch verzogen hatte. Am Tunnelausgang war das Auto dann nicht mehr zu sehen. Schade eigentlich.

Verluste und Verschleißerscheinungen

Etwa zu dieser Zeit musste ich auch mit Erschrecken feststellen, dass mein Multitool weg war. Ich hatte es eine ganze Weile nicht benutzt. Dies machte es auch aussichtlos, zurückzufahren, um danach zu suchen. Ich konnte es an verschiedenen Orten verloren haben. Da das Teil nicht wirklich günstig und noch dazu ein Geschenk war, ärgerte ich mich darüber gleich doppelt. Allerdings war es auch die erste Sache, die ich auf dieser Reise verloren hatte. Angesichts meines generell eher chaotischen Wesens ist diese Tatsache sehr verwunderlich. Meine Freundin Caro konnte bei einem späteren Telefongespräch gar nicht glauben, dass sonst noch alles da ist und funktioniert. Sie hätte bereits zu einem früheren Zeitpunkt damit gerechnet, dass nur noch die Hälfte meiner technischen Geräte halbwegs funktionstüchtig sind.

Über ein Hochplateau ging es weiter nach Alta. Dort merkte ich, dass auch Felge Nummer zwei erste Risse aufwies. Diese aber in Norwegen ersetzen zu lassen, hätte ich aus finanzieller Hinsicht nicht übers Herz gebracht. Also musste es bis nach Schweden erstmal so gehen. Allerdings änderte ich meine Route nun etwas und fuhr zunächst an der schwedischen Küste entlang. Diese ist dichter besiedelt und die Chancen, einen Fahrradladen zu finden, waren somit höher.

Bevor ich dies tat, nistete ich mich aber erstmal bei Lars-Göran und Sandra ein. Sie wohnen etwa 50 Kilometer nordöstlich von Lulea, sehr idyllisch gelegen – direkt am See. Und damit meine ich wirklich DIREKT am See. Und als wäre das nicht schon cool genug, ist ihr Haus auch noch das einzige weit und breit. Unter solchen Umständen könnte ich mir sogar vorstellen, irgendwann, einmal sesshaft zu werden. Gut, die Jahresdurchschnittstemperaturen könnten schon etwas höher sein, aber sonst passt es.

Auch unter kulinarischen Gesichtspunkten war mein Reisezeitraum dort weise gewählt. Es wurde der Beginn der Flusskrebs-Saison gefeiert. Also waren wir bei Freunden der beiden eingeladen und verzehrten allerhand dieser kleinen Tierchen. Wobei ich mir ob der geringen Fleischmenge in den Krebsschwänzen nicht wirklich sicher bin, dass man durch deren Verzehr die beim Schälen aufgewendete Energie wieder aufnehmen konnte. Naja, lecker war es auf jeden Fall und mit Sicherheit ein Fortschritt gegenüber dem Mülltonnengewühle in Norwegen.

Glücklicherweise bin ich hier nicht eine Woche später hergekommen. Dann startet nämlich die Surströmming-Saison. Den schwedischen Stinkefisch habe ich bereits vor einigen Jahren probiert, und es war jetzt nicht unbedingt mein favorisiertes Nahrungsmittel.

Lars-Göran arbeitet übrigens als Biologe und war hier für Waldgebiete zuständig, welche wahrscheinlich grösser sind, als die meisten deutschen Bundesländer. Am nächsten Tag zeigte er mir noch ein paar alte Wälder und historische Siedlungen der Gegend. Ich konnte eine Menge neue Dinge über Wälder lernen und dadurch von nun an verschiedene Sachen beobachten, welche einige vorher eher langweiligen Straßen-Abschnitte nun viel interessanter machten.

Auch die Mittagsverpflegung war vorzüglich. Er servierte selbst gejagtes Elchfleisch, welches wir über dem Feuer grillten. Damit konnte ich ein weiteres Tier auf dem Weg zur kulinarischen Komplettierung der Fauna dieses Planeten verzeichnen. Am Tag darauf sah ich auch endlich ein lebendes Exemplar. Allein von der Größe her war das schon ziemlich beeindruckend.

Auch für meine angeschlagene Felge konnte Lars-Göran Abhilfe schaffen. Er kannte zufällig einen Fahrradmechaniker, der hier eine Werkstatt in seiner Scheune hat. Allerdings war das nicht irgendwer. Zu ihm kamen Profiradler aus ganz Schweden, um an ihren Rädern basteln zu lassen. Dabei kann Jorma auf 60 Jahre Reparaturerfahrung zurückblicken. Er bastelt nämlich an Rädern, seitdem er 7 ist. Zwar hatte er nicht die passende Felge da, die er für mich plus Gepäck empfehlen würde, aber er löste erst einmal mein Problem zu einem fairen Preis und gab mir Empfehlungen, welche Felge ich mir zukünftig anschaffen sollte, um längerfristig Ruhe zu haben.

Der angelnde Dönermann

Auch in Schweden gibt es, wie ich schon aus Finnland berichtete, ein gutes Netz an kostenfreien Schutzhütten bzw. Feuerstellen. Diese sind meines Wissens nicht zentral in einer offiziellen Website gesammelt, allerdings kann man über diesen Link doch einen Großteil von ihnen finden. Gern geschehen!

An einer dieser Schutzhütten lernte ich Hassan kennen, der dort am Steg angelte. Er stammt aus dem Libanon und hat als Kind in den 70ern in Berlin gelebt. Allerdings nur für 2 Jahre. Dafür sprach er aber noch wirklich gut Deutsch. Auf einmal hatte Hassan einen fetten Fisch an der Angel. Unglücklicherweise wickelte sich dieser unter Wasser ein paar Mal um den Steg. Als er schon die Leine durchschneiden wollte, sprang ich kurzentschlossen ins Wasser, um der Regenbogenforelle nun persönlich an den Kragen zu gehen. Es war eh mal wieder Zeit für die Körperpflege.

Beeindruckt von meinem Einsatz und glücklich darüber, dass er sein Vorfach samt Pose retten konnte, schenkte er mir dieses Prachtexemplar von Fisch und lud mich darüber hinaus noch ein, am nächsten Tag bei ihm in der Bude einen Döner zu essen. Dieser war übrigens der beste, den ich je außerhalb von Deutschland gegessen habe.

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