Wie bereits berichtet, konnte ich nicht wie geplant die Fähre nach Mazatlan nehmen, sondern musste nach Topolobampo übersetzen. Spät am Abend angekommen, hatte ich ein wunderschönes Hostel ganz für mich allein. Dieses war logistisch auch gut in der Nähe des Fährhafens gelegen. Hier ist es nämlich nicht unbedingt ratsam, nachts alleine unterwegs zu sein.
Can you feel the heat?
Vor der Gegend zwischen Los Mochis und Mazatlan wurde ich wegen anhaltender Aktivitäten der örtlichen Drogenkartelle gewarnt. Hier herrscht seit der Verhaftung des berüchtigten Narcos “El Chapo” ein immer mal wieder aufflammender Konflikt um dessen Nachfolge. Deshalb gilt die Gegend als sehr unsicher. Ein Eintrag in der sehr hilfreichen App “i Overlander”, der von einem Wohnmobilfahrer war, der jüngst mit nichts geringerem als einem Granatwerfer ausgeraubt wurde, überzeugte mich schließlich davon, den Bus zu nehmen.
Spätestens in Mexiko haben fast alle ca. 60 Mitglieder der WhatsApp-Gruppe, in der wir Radreisenden auf der Panamericana uns mittlerweile vernetzt haben, früher oder später den Bus genommen, um gefährliche Gegenden zu überspringen. Und da ich jetzt schließlich eine Frau und eine halbe Katze habe, muss ich auch ein bisschen vorsichtiger sein.
Für alle, die bis nach den Feiertagen gewartet haben, um auf das Festland zu kommen, wurde es nochmal deutlich schwieriger. Als Anfang Januar der Sohn von “El Chapo” festgenommen wurde, drehten die Jungs vom Sinaloa Kartell komplett frei. Auf den Autobahnen wurden brennende Barrikaden errichtet, man lieferte sich Schießereien mit der Armee und auch auf Flugzeuge samt Insassen wurde gefeuert. Beim letzten Mal hatte diese Taktik Erfolg und er war nach wenigen Stunden wieder auf freiem Fuß. Diesmal scheint die mexikanische Regierung nicht nachzugeben.
Viele meiner Weggefährten, mit denen ich Zeit auf der Baja California verbracht hatte, konnten nicht einmal mehr die Fähre auf das Festland nehmen, sondern mussten fliegen. Radfahrer, die in Mazatlan waren, wurden daran gehindert, die Stadt zu verlassen. Alles in allem hatte ich mal wieder Glück und gutes Timing auf meiner Seite.
Weihnachten am Strand
Kurz vor Weihnachten kam ich bei meinen Warm Showers Hosts Peter und Sally an. Die beiden Kanadier sind so genannte “Snowbirds”. So werden vor allem ältere Kanadier genannt, die keinen Bock mehr auf die Kälte haben und ihren Winter lieber in Mexiko verbringen.
Die beiden luden mich spontan ein, Weihnachten mit ihnen zu verbringen. Heiligabend hatten sie sich für ein Charity Event angemeldet, bei dem ich auch mithelfen konnte. Es sollten Pizza, Donuts und co an Kinder aus einem ärmeren Vorort ausgegeben, sowie Geschenke verteilt werden. Organisiert wurde die Veranstaltung von den amerikanischen Besitzern eines chicen Restaurants in Manzanillo.
An sich war das natürlich eine tolle Veranstaltung und wurde von hunderten von Kindern dankend angenommen. Unter den Gringo-Freiwilligen sah man allerdings, dass es sich bei einem Großteil um Menschen handelte, die noch nie oder lange nicht mehr mit ihren Händen gearbeitet haben (meine Gastgeber zähle ich da ausdrücklich nicht dazu). Da wäre zu Hause schon ein paar mal der Satz “Wenn du anfässt, ist es so, als wenn zwehe loslassen.” gefallen. Aber am Ende wurde die Kinderschar doch satt und war zufrieden. Darauf kam es ja schließlich an.
Die Organisation des Entertainments war hingegen komplett in Mexikanischer Hand. Neben 800 Fußbällen die verteilt wurden, war mein Highlight die Clownshow. Hierbei mussten sich Kinder und Helfer hintereinander auf den Boden legen und die Clowns jonglierten mal vorwärts, mal rückwärts über sie hinweggehend, brennende Fackeln über ihren Köpfen. “Mexico Magico!“
Zur Krönung des Heiligabends bereitete ich dann noch das klassische Weihnachtsessen, das es, zumindest in Jahren meiner Anwesenheit, immer zu Hause an Heiligabend geben muss, zu. Würzfleisch. Das schmeckt auch bei 30 Grad noch gut.
Surfer, Schildkröten und Kindersoldaten in Michoacan
Mit der Einfahrt nach Michoacan veränderte sich der Highway drastisch. Eine breite, viel befahrene Straße mit Randstreifen wich einer kleinen Piste mit recht grobem Asphalt, die allerdings auch angenehm ruhig war. Generell sieht man an der mexikanischen Pazifikküste viele interessante Tiere. Vogelspinnen gab es beinahe täglich zu sehen, ab und zu schlängelte sich auch einmal eine Schlange über die Straße, der ich meist noch grade so ausweichen konnte und je nach Gegend kreuzten täglich bis zu 4 oder 5 riesige Echsen meinen Weg.
Die coolste Begegnung mit einem Tier war jedoch, als ich eines Nachts vor einem Restaurant direkt am Strand zeltete. Allein. Als auf einmal ein Plastikstuhl nach dem anderen umgeworfen wurde und sich diese Spur des Vandalismus immer mehr meiner Hängematte näherte, schaltete ich meine Kopflampe ein. Ich staunte nicht schlecht, als sich vor mir auf einmal eine Riesenschildkröte befand. Ich wusste, dass die Kolleginnen in der Gegend sind. Einige Stunden zuvor hatte ich noch den Restaurantbesitzern dabei geholfen, die frisch geschlüpften Babys ins Wasser zu tragen. Normalerweise sollen die das alleine schaffen, aber durch künstliche Lichter des Restaurants wurden sie in die falsche Richtung gelenkt. Die Schildkröten-Mudda war jedoch wenig beeindruckt von meiner Anwesenheit und schob ihren Panzer ganz gemütlich unter meiner Hängematte durch. Naja, wenn dringend ein Ei legen muss, mach ich mir schließlich auch nicht viel aus wenig.
Die Strände Michoacans sind voll von Surfern, die hier ideale Bedingungen vorfinden. Deshalb gibt es auch eine ganz gute touristische Infrastruktur. Campingplätze sind sehr einfach, aber kosten auch nur zwischen 3 und 5€ pro Nacht, sofern jemand kassieren kommt. Der Surfer an sich ist ja schon ein sehr spezieller Schlag Mensch. Definitiv nicht unsympathisch, aber manche dieser Zeitgenossen nehmen auch nicht zu wenige Drogen zu sich. So versuchte mir einer von ihnen zu erklären, dass der einzig denkbare nächste Schritt in der menschlichen Evolution für ihn sei, dass alle Menschen Surfer werden. Na dann wird`s ja werden.
Einer dieser evolutionär fortgeschrittenen Menschen war Finn. Ein kanadischer Fahrradfahrer/Surfer, den ich aus La Paz (Baja California) kannte. Wir verstanden uns super und wollten erst zusammen die Küste herunterfahren. Das scheiterte allerdings daran, dass ich das letzte Fährticket für diesen Tag ergatterte und er in der Schlange kurz hinter mir in die Röhre guckte. Als er mich dann an Weihnachten überholte, machten wir uns aus, uns ein paar Tage später in La Ticla zu treffen. Einem Surfspot, der das Ziel seiner Radreise war. Dort waren schon einige seiner Freunde seit mehreren Wochen oder Monaten vor Ort. Ich dachte, dort gibt es wie sonst auch, nur einen kleinen Zeltplatz. Stattdessen gab es 4 oder 5 davon mit jeweils 50 bis 100 Surfern. Durch Zufall war der erste Typ, den ich im Ort ansprach, auch gleich ein Kumpel von Finn und dirigierte mich zu dessen Camp.
Hier verbrachte ich ein paar Tage in bester Gesellschaft und wollte eigentlich ein bisschen angeln gehen. Dumm nur, dass ich meine Angelroute beim letzten Mal wohl nicht wieder eingepackt hatte. Naja, kaputt war sie eh. Glücklicherweise war grad die örtliche Cannabis-Ernte-Saison. So gab es für umgerechnet 5 € einen großen Sack vom Tacostand, den ich unmöglich bis zum Ende meines Aufenthaltes, geschweige denn dem Ende meiner Mexikoreise, verbrauchen konnte.
Obwohl dessen Konsum in Mexiko noch nicht legal ist, macht sich hier keiner etwas daraus. Speziell La Ticla liegt in einer Autonomie-Zone, wo es sowieso keine Polizei gibt. Einige Kilometer vor der Stadt sitzen etwa 25 Jungen, Männer und Greise vor einem Kiosk und schauen sich jeden ganz genau an und entscheiden, wer rein kommt und wer nicht. Polizisten und Kartellmitgliedern wird die Durchreise verwehrt. Ob dies jetzt gut oder schlecht ist, kann ich nicht beurteilen. Die Gegend fühlt sich aber sehr sicher und ruhig an.
Etwas weiter die Küste herunter sah das schon anders aus. Als ich nahe Lazaro Cardenas in zwei Tagen jeweils etwa 10-jährige Kinder in Begleitung von Erwachsenen mit Gewehren sah, kam ich doch etwas ins Grübeln, ob ich hier noch weiter Radfahren sollte. Ich meine, man stelle sich den 10-jährigen Willy vor. Der hätte sicher mal geschaut, wie es sich so mit dem Treffen fahrender Ziele verhält. Naja, die haben hier vielleicht doch ein wenig mehr Disziplin als ich nach meiner antiautoritären Erziehung.
Salven aus der AK für das neue Jahr
Da die meisten Mexikaner das ganze Jahr über schuften wie die Hafenhuren (in manchen Ranglisten steht Mexiko sogar auf Platz 1 der wöchentlich geleisteten Arbeitsstunden weltweit), werden Feiertage hier ganz besonders ausgelassen begangen. Ich suchte mir für den Jahreswechsel einen ruhigen Campingplatz direkt am Meer. Dort lernte ich ein paar Surfer kennen, mit denen ich mich dann auf Bier und Magharitas zusammensetzte. Zu späterer Stunde versammelte sich das ganze Dorf am Strand und verbrannte Treibholz. Das klingt erstmal recht idyllisch.
Feuerwerk ist in Mexiko nicht nur an diesem Tag sehr beliebt, sondern wird das ganze Jahr über gezündet. Sogar noch exzessiver als zu Hause an der polnischen Grenze. Da es zu Silvester dann eben doch etwas besonderes sein soll, begannen weit vor Mitternacht die Salutschüsse aus diversen Maschinengewehren. Diese waren zwar zu 99% nicht am Strand, sondern kamen aus den angrenzenden Bergen. Leute, die hier leben, erzählten uns aber, dass es immer mal wieder vorkommt, dass die Kugeln in Häuser oder Autos einschlagen, wenn sie vom Himmel fallen. Jedes Jahr sterben in Mexiko sogar Leute bei diesem Brauch durch verirrte Munition. Aber das nimmt man halt so hin. Kollateralschäden.
Tierra Callente – die heiße Erde
Lazaro Cardenas ist eine Hafenstadt in Michoacan und gilt als heißes Pflaster. Hier kommen die großen Containerschiffe aus China an, die Grundstoffe für alle möglichen synthetischen Drogen liefern. Die Kontrolle über diesen Hafen bringt wesentliche geschäftliche Vorteile mit sich und ist deswegen hart umkämpft.
In einem Vorort von Lazaro Cardenas angekommen, war ich mir unsicher, ob ich von hier aus weiter mit dem Fahrrad fahren oder einen Bus nehmen sollte. Die Aussagen von Bekannten aus Michoacan standen 1:1. Das örtliche Sarggeschäft, dass ein blau leuchtendes Schild mit der Aufschrift „24 HRS“, also 24 Stunden geöffnet, trug, ließ mich noch mehr ins Grübeln kommen. Ich erkundigte mich bei ein paar Einheimischen. Javier, den ich über Couchsurfing kennenlernte, leitet hier eine Sprachschule. Er führte mich durch die Stadt. Eigentlich an jeder Ecke zeigte er mir, wo schon mal jemand erschossen wurde. Zum Glück war noch keiner aus seiner Familie dabei, meinte er, aber sehr wohl Freunde und deren Familien. Nicht, weil sie in irgendetwas verwickelt waren, sondern, weil sie zum Beispiel zur falschen Zeit an der Apotheke anstanden. Auch sein ehemaliger Schulleiter wurde erst kürzlich überführt. Er hat jahrelang Leute aus der Gegend gekidnappt und Geld von deren Familien erpresst. Jetzt ist er spurlos verschwunden.
Von meiner Route riet er ausdrücklich ab. Der letzte Couchsurfer, der bei ihm zu Gast war, wurde eine Woche lang gefoltert, weil er in einem Dorf ein Erinnerungsfoto mit einer Familie gemacht hat, die ihn zum Essen eingeladen hat. Da waren im Hintergrund wohl Leute drauf zu sehen, die sich selbst nicht für allzu fotogen halten. Dies geschah an dem Küstenabschnitt, den ich bereits gefahren war. Die Route, auf der ich weiterfahren wollte, war seines Erachtens nach noch etwas brenzliger. In Mexiko ist sie als „Tierra Callente“, zu deutsch: „heiße Erde“, bekannt. Ich entschied mich also für eine 2 stündige Busfahrt.
Speziell nach diesen Geschichten machte es mich noch wütender, wie selbst von anderen Fahrradreisenden oder Backpackern behauptet wird, dass die Narcos doch ganz nette Menschen sind. Man brüstet sich auf Blogs oder in WhatsApp-Gruppen sogar damit, sich so gut mit den Jungs unterhalten oder zusammen Fotos gemacht zu haben. Ja, es stimmt, dass ausländischen (Fahrrad)-Touristen in den meisten Gegenden, wo die Kartelle aktiv sind, eigentlich selten etwas passiert. Aber ich kann trotzdem nicht verstehen, wie man Leute dafür feiern kann, Zivilisten als Kollateralschäden zu erschießen und teilweise auch Kindersoldaten zu rekrutieren. Da denkst du eigentlich, dass Leute, die so eine Tour machen, etwas weiter als von der Wand bis zur Tapete denken können. Aber da gucken einige wohl doch zu viel „Narcos“ auf Netflix.
Speziell, weil ich in Mexiko so viele fantastische Menschen getroffen habe, wünsche ich mir, dass sich das Land irgendwann von diesem korrupten System befreien und sein volles Potenzial entfalten kann.
Auf ins Innland von Michoacan
Nachdem ich also mit dem Bus nach Uruapan gefahren war, nahm mich dort auch gleich Jorge in Empfang. Da der ehemalige aktive Radsportler etwas aus der Form ist, zeigte er mir die Gegend in seinem Pickup-Truck. Uruapan hat einen netten Nationalpark direkt in der Stadt und auch einige kulinarische Highlights, die es nur dort gibt, wie zum Beispiel eine Suppe aus Mais und Anis, von der ich sehr begeistert war.
Außerdem gibt es auch den jüngsten Vulkan der Welt, der sich erst in den 40er Jahren des letzten Jahrhunderts aus dem Boden geschraubt hat. Alles in allem war Jorge ein sehr guter Guide. Es war lediglich etwas anstrengend, seine Versuche, mir eine Prostituierte zu besorgen, abzuwehren.
An einem schönen See wurde ich dann vom Besitzer eines Campingplatzes zum Grillen und Mezcal trinken eingeladen. Der Neffe des ehemaligen Orgelspielers des Papstes ist auf jeden Fall ein mexikanisches Original. Außerdem hat er eine Sammelleidenschaft. Für alles! Eine original Stralivari Geige hing im Schuppen neben einem Prototypen einer Thomas Eddison Maschine. Verkaufen will der sympathische Mexikaner, von dem ich aus Sicherheitsgründen weder den Namen noch den genauen Standort nennen will, aber nichts davon. Gesichert ist sein Museum übrigens mit einem Vorhängeschloss sowie seiner Schrotflinte. Wie könnte es anders sein, … er schläft nur jeden zweiten Tag für ein paar Stunden und hat so fast immer ein Auge auf seine Schätze.
Nach einem Zwischenstopp in Patzcuaro, den ich teilweise mit Erkältung im Bett verbracht habe, ging es dann schließlich weiter nach Morelia zu meinem guten Freund Emmanuel. Diesen hatte ich im letzten Sommer in Vancouver kennengelernt. Ein gemeinsamer Abend in der Kneipe hat ihm gereicht, um mich einzuladen, für ein paar Tage bei sich und seiner Mutter im Haus zu wohnen. Emmanuel zeigte mir seine Stadt und vor allem mexikanisches Craftbeer. Dieser Trend hat es noch nicht flächendeckend von den USA hierher geschafft. Allerdings war es eine willkommene Abwechslung von der dünnen Plörre der großen Brauereien Mexikos.
Nach Morelia ging es dann auch direkt nach Mexiko City, wo ich mich mit meiner Frau Rose getroffen habe. Dazu dann nächstes Mal mehr.
Sitze in Norwegen mit Kerstin in einer gemütlichen Hütte und wünsche Dir weiterhin immer ein glückliches Händchen!