Bevor ich euch von meinem abenteuerlichen Weg an die litauische Ostseeküste berichte, möchte ich noch einmal etwas zu meinem letzten Beitrag erläutern. Mich erreichten viele Nachrichten, was für ein Unmensch dieser TomEx sei. So weit, so gut. Einige waren jedoch auch besorgt, dass er jetzt sauer auf mich sein muss, da er ja in meinen Berichterstattungen nicht sonderlich gut weggekommen ist. Da habt ihr etwas falsch verstanden! Ganz im Gegenteil. Er hat die Erzählungen über unsere Abenteuer sogar voller Stolz seiner Mutter geschickt. Also, alles gut.
Immer der Memel nach
Nach den 5 Tagen in Vilnius hatte ich wieder richtig Lust, Fahrrad zu fahren. Nun hätte ich nach Riga über die Inlandroute lediglich 300 km zurücklegen müssen. Allerdings hatte sich Clemens für den 14.06. dort angekündigt, weshalb die Route natürlich ausgedehnt werden musste.
Da die Temperaturen jetzt langsam auch auf Höhen jenseits der 25 Grad kletterten, was ich daran merkte, dass sich bereits nach kurzem Pedalieren ein weißer Brustring mein Trikot zierte und bei jedem schärferen Bremsen etwas Wasser aus dem Helm in meine Augen lief, erachtete ich es für sinnvoll, einen großen Teil meiner Zeit an der Ostsee zu verbringen.
Von Vilnius führt eine Fahrradroute direkt nach Klaipeda. Diese folgt dabei zu großen Teilen der Memel, was recht praktisch war, da entlang des Flusses oft einfache Rastplätze vorhanden sind, auf denen ich kostenneutral mein Zelt aufschlagen konnte.
Wildzelten ist im Baltikum, ähnlich wie in Skandinavien, nämlich überall dort erlaubt, wo es nicht explizit verboten ist. So habe ich es zumindest gehört. Gestört hat meine Anwesenheit jedenfalls nie jemanden.
Anti-Yuppie-Spray
An sehr heißen Tagen mache ich mittags eine Siesta, welche schon mal so an die zwei Stunden dauern kann. Als ich mich zu einer dieser längeren Pausen am Flussufer niederließ und grade die Augen schließen wollte, kamen drei deutsche Sportwagen auf den nahe gelegenen Parkplatz gerollt. Aus ihnen entstiegen 2 junge Familien und ein Fotograph, die alle (auch die Kinder) im feinen Zwirn aufdribbelten. „So weit, so gut, der Rastplatz ist ja groß“, dachte ich mir. Doch für ihr Fotoshooting wählte die feine Gesellschaft natürlich einen Standort, der sich ca. 3 Meter von meinem ausgelaugten Kadaver entfernt befand. Das wäre auch noch nicht schlimm gewesen, aber eh die Väter ihre Sprösslinge herbeigerufen hatten, war eine ganze Menge Geschrei nötig, das sich kontraproduktiv auf meine Erholungspause auswirkte.
Als der Fotograph dann noch anfing, die Mimik der Bälger mit irgendwelchen pervers klingenden Tierlauten beeinflussen zu wollen, wurde es mir zu bunt. Ich musste intervenieren.
Zum Glück hatte ich vor meinem Schläfchen einen kleinen Imbiss zu mir genommen. Dieser bestand aus zwei mit Kraut und Fleisch gefüllten Teigtaschen, zwei Bananen, zwei Pfirsichen und einer kleinen Packung Kabanossi mit sehr scharfem Senf. Abgerundet wurde die Sache noch mit einem Frucht-Kefir, der zwar sehr nah am Verfallsdatum, dafür auch um 80% reduziert war. Er schmeckte bereits etwas säuerlicher als sonst.
Dieses explosive Gemisch erlaubte es mir, sowohl akustische, als auch über den Geruchssinn wahrnehmbare Signale auszusenden, die den Yuppies unmissverständlich klar machten, dass sie mehr Abstand halten sollten.
Beim zweiten Tönchen nahmen die Frauen und beim dritten schließlich auch die Männer und Kinder Reißaus. Mission Completed!
Ich gegen Litauens Autofahrer
Als ich eines Nachts an einem Rastplatz übernachtete, der zwar am Fluss aber dennoch direkt im Ort gelegen war, ließ ich über Nacht meine Küchenutensilien zum Trocknen auf einem Tisch liegen, der etwa 10 Meter von meinem Zelt entfernt war. Als ich mir morgens meinen Kaffee koche wollte, musste ich mit Erschrecken feststellen, dass mein Täschchen mit dem Besteck, meinen Feuerzeugen, dem Fuß für den Kocher und noch 1-2 anderen Dingen fehlte. Auch meine Angel war verschwunden. Da hatte das Zeug doch tatsächlich jemand stibitzt. Das ist jetzt sicher kein herber monetärer Verlust, nervte aber trotzdem gewaltig, da die Sachen mitunter schwer zu beschaffen sind und ich verdammt nochmal meinen Kaffee nicht trinken konnte!
Leicht angenervt ging es also weiter in Richtung Küste. Da der Verkehr in Litauen wirklich schrecklich ist und Autofahrer mitunter nur sehr knapp an einem vorbei fahren, habe ich mir angewöhnt, einfach in der Mitte meiner Spur zu fahren. So staut es sich dann bei Gegenverkehr zwar ordentlich hinter mir und ich bekomme das ein oder andere Hupkonzert zu hören, das ist mir aber herzlich egal.
Dies hilft natürlich eher weniger, wenn aus der Gegenrichtung ein Fahrzeug überholt. Einmal war es richtig knapp. Ich sah schon von weitem, dass ein weißer Transporter an einem LKW vorbeiziehen will. Nur kam der Gute beim Überholvorgang nicht so richtig aus dem Knick. Normalerweise kann ich ja in solchen Situationen auf den Seitenstreifen ausweichen. Da wir uns jedoch grade auf einer Art Brücke befanden, waren beide Fahrbahnränder durch Leitplanken begrenzt. Der Transporter kam immer näher und ich musste ordentlich reintreten, um das Ende der Leitplanke und somit den sicheren Seitenstreifen zu erreichen. Das klappte auch grade so. Zur Not hätte ich mich über die Leitplanke fallen lassen um Leib und Leben zu retten, aber dann wäre das Rad wahrscheinlich hinüber und ich läge verletzt im Straßengraben.
Nun bin ich ja eigentlich solch ein friedfertiger Mensch, man könnte meinen, Mahatma Ghandi und der Dalai Lama hätten mich aus dem Bauchnabel Buddahs geklont. Aber jetzt war ich auf 180! Ich kann mich nicht daran erinnern, schon einmal so wütend gewesen zu sein und selbst jetzt, wenn ich darüber schreibe, zittern meine Hände wie bei meinem Freund Stazec, wenn es eine Woche keinen Selbstgebrannten gab.
Beim Hinterherschauen laß ich auf dem weißen Transporter noch den schon leicht verblassten Aufdruck: „Dachdeckerbetrieb Müller“. „Hmm, vielleicht gehört der ja zu dieser Baustelle, die ich vor etwa einem Kilometer passiert habe?“, vermutete ich. Also umgedreht, den Meinungsverstärker bereits in die Lenkertasche gelegt und nichts wie hin da. Zu seinem und wohl auch zu meinem Glück, war der Bursche nicht mehr auffindbar. Ich bin mir wirklich nicht sicher, was ich mit dem angestellt hätte. Der wäre maximal noch im Rollstuhl über die Überholspur gegondelt. Das wäre sicherlich auch von mir nicht sonderlich klug gewesen, aber ich war einfach mal so in Rage, wie selten zuvor in meinem Leben.
Endlich an der Ostsee
Ich gebe zu: Man kann die Ostsee von meiner Heimatstadt Bad Muskau aus auch wesentlich schneller erreichen. Aber nach fast 2500 Kilometern betrachtete ich sie dann von einer Sanddüne auf der Kurischen Nehrung, natürlich standesgemäß, mit einem kalten Bierchen in der Hand. Die Kurische Nehrung ist eine 98 km lange Halbinsel in der Ostsee, welche zum Teil zum litauischem, zum Teil zum russischen (Kaliningrad) Staatsgebiet gehört. Die Nehrung trennt das Kurische Haff von der Ostsee.
Einen Besuch kann ich wirklich empfehlen. Hier sind die Strände noch nicht so überlaufen, wie ich es von deutschen Ostseeabschnitten kenne. Teilweise war man wirklich komplett alleine. Obwohl der Juni hier noch nicht gänzlich zur Hauptsaison gezählt wird, kann ich mir nicht vorstellen, dass man sich hier im Hochsommer auf den Füssen herumtrampelt. Auch die Fähre von Klaipeda aus (alle anderen fahren außerhalb der Saison nur unregelmäßig) reißt mit einem Euro hin und zurück jetzt keine großen Lücken ins Portemonnaie.
Bevor es weiter nach Lettland ging, wollte ich mich noch ein wenig von den zurückliegenden Tagen erholen. Schließlich fuhr ich in 4 Tagen mehr als 400 Kilometer und das bei Höchsttemperaturen von über 30 Grad. Also ging es für zwei Nächte nach Klaipeda bzw. in einen Vorort der Stadt, wo mich Lukas, ein Gastgeber, den ich mal wieder über Couchsurfing gefunden hatte, bei sich aufnahm und mir die Gegend etwas zeigte. Eine gute Gelegenheit, Kraft für die Weiterreise zu tanken.
Hallo Willy,es ist immer sehr amüsant,deine Beiträge zu lesen.Da erlebst du ja wirklich jede Menge.Ich wünsche dir eine unfallfreie Fahrt!Liebe Grüße von Ines
Danke 😉
Za je pis! Da find ich einfach nen Blog von Big Willy Klein, wie er grade auf nem orangenem Panzer 3000 Kilometer (and counting) durch Osteuropa radelt. W.T.F. Feier dich jedenfalls immens und hab irre viel Respekt vor deinem Auftrag, Sir! Willy du bist erstklassig, so wie dein Blog. Deine Beiträge sind authentisch und spannend. Du machst alles richtig. Ich mein so gesamthaft 😉 deine Einstellung war in bloody straya schon gediegen und scheint mir jetzt nicht weniger symphatisch zu sein. Ich hab dich lieb man. Safe travels mate!
Hey Rich,
freut mich riesig mal wieder von dir zu hören! Hoffe dir geht’s gut.
Wo treibst du dich grade rum? Vielleicht komm ich ja mal vorbei geradelt 🙂
Hallo Willy,
Mütter haben ja bekanntlich 2 gute Seiten. Mit der Einen räumen sie Dir den Dreck weg und versorgen Dich mit Grundnahrungsmitteln und mit der Anderen erzählen sie voller Stolz, was ihre kleinen Hosenscheißer mit über 20 so alles machen.
Elke hat dem Budze gesteckt, wo Du Dich rumtreibst und seitdem verfolge ich Dich natürlich.
Ist echt ne geile Geschichte!!! Ich wünsch mir nur, dass Du nicht als Alki-Abhängiger Einradfahrer wieder hier auftauchst….
Beste Grüße vom Berge
Budze
Na hallo Budze,
auf einem Rad war ich schon kurzzeitig unterwegs, aber die Geschichte gibt’s beim nächsten mal.
Und was den Alkohol angeht mach dir mal keine Sorgen. Erstens habe ich ja jetzt mehr als genug abschreckende Beispiele und zweitens ist der in Skandinavien sowieso viel zu teuer 😉
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