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Leere Nationalparks & volle Menschen

Nalibozkaja Puschtscha

Nachdem ich mich also schweren Herzens aus Minsk verabschiedet habe, ging es in den Nationalpark Nalibozkaja Puschtscha. Diesen erreichte ich am späteren Abend. Da ich dieses große Waldgebiet gerne mit leichtem Gepäck erkunden wollte, entschied ich mich dafür, auf einem offiziellen Campingplatz mein Lager aufzuschlagen um ein paar Sachen tagsüber im Zelt lassen zu können.

Das von mir auserwählte Gelände gehörte zu einer kleinen Pension, die gerade durch eine englisch/australische Reisegruppe fortgeschritten Alters in Beschlag genommen wurde. Diese hatten aber nichts gegen meine Anwesenheit und luden mich sogar zum Abendessen ein.
Am nächsten Tag fuhren sie weiter und auch Maria und Vasili, die Besitzer der kleinen Pension, mussten für 2 Tage die Stadt verlassen. Das machte allerdings überhaupt nichts. Sie zeigten mir, wo der Kühlschrank steht. In diesem waren noch die Reste von den Mahlzeiten drin, die Maria für die Reisegruppe gekocht hatte. „Reste“ ist hier vielleicht etwas untertrieben, der Kühlschrank platzte aus allen Nähten. Maria machte mir in einem sehr strengen Ton klar, dass dieser bei ihrer Rückkehr leer zu sein hat! Nun gaben mir die beiden die Schlüssel für das Haus. Wahnsinn! Die hatten noch nicht mal meinen Pass gesehen, kannten nur meinen Vornamen und geben mir ihre Hausschlüssel? Meine Eltern geben mir nicht mal freiwillig ihre Schlüssel und die kennen mich schon eine ganze Weile.
Die nächsten Tage verbrachte ich also damit, mir den Nationalpark anzugucken, zu angeln oder einfach mal in der Hängematte zu liegen und nichts zu machen. Im Nationalpark selbst schien ich der einzige Tourist zu sein. Jedenfalls habe in den 3 Tagen dort keinen anderen Menschen getroffen.

Naratschsee

Als nächstes ging es an den Naratschsee. Dieser bildet zusammen mit den umliegenden Gewässern ebenfalls einen Nationalpark. Das hat zur Folge, dass man nicht wie sonst in Weißrussland überall, wild zelten darf, sondern eigentlich auf die offiziellen Campingplätze muss. Um Geld zu sparen, wollte ich natürlich trotzdem irgendwo heimlich mein Lager aufschlagen. Da aber sowieso grade ein heftiges Gewitter aufzog, stattete ich der örtlichen Touristeninformation einen Besuch ab. Dort erfuhr ich zufällig, dass die Saison hier erst im Juni beginnt und somit alle Campingplätze im Nationalpark kostenlos sind. Momentan arbeiten nämlich die Kontrolleure noch nicht. Na, da war ich ja mal wieder zur richtigen Zeit am richtigen Ort. Sehr schön!

In den nächsten Tagen radelte ich also durch den Nationalpark, dessen Besuch ich wirklich sehr empfehlen kann. Viele Touristen traf ich auch hier wieder nicht und die Nächte auf den offiziellen Campingplätzen verbrachte ich auch immer komplett allein. Dabei war einer schöner als der andere. Mitten im Wald gelegen gab es in unmittelbarer Nähe immer einen Zugang zu einem der vielen Seen, sodass ich meine dürftige Körperhygiene zumindest etwas verbessern konnte. Außerdem waren immer Feuerstellen und eine Menge Brennholz in den verschiedensten Größen vorhanden.

Nicht für Fahrräder gedacht

An meinem letzten Tag in diesem Landschaftsschutzgebiet radelte ich einen Naturlehrpfad Namens “Blue Lakes” entlang. Dieser war sehr schön und fuhr sich auch wunderbar. Lediglich das letzte Stück in Richtung Zeltplatz war eine Tortur. Immerzu lagen umgestürzte Bäume im Weg, über die ich mein schwer bepacktes Fahrrad hieven musste. Am Anfang überlegte ich noch umzukehren, doch immerzu sagte ich mir, dass das Gröbste doch bald geschafft sein muss und je weiter ich mich durch den Wald schlug, desto grösser wurde die Scheu davor, den ganzen Weg wieder zurück zu gehen. Schließlich hörte ich schon den Fluss und auf dessen anderer Seite war ein etwas größerer Weg, in einem hoffentlich besseren Zustand, auf meiner Karte verzeichnet.

Als ich diesen nach 2 Stunden Kampf gegen Mücken, Brennnesseln und Baumstämme erreichte, musste ich mit Entsetzen feststellen, dass die hier befindliche Brücke lediglich aus ein paar Metallketten besteht, an denen man sich entlanghangeln kann. Mit dem Fahrrad war diese allerdings unmöglich passierbar. Jetzt war guter Rat teuer.

Ich erwog schon, den Rückweg anzutreten, aber darauf hatte ich nun wirklich keine Lust. Ein zweiter Gedanke war, mir mein Rad um den Bauch zu binden und mich an den Seilen über den Fluss zu hangeln. Allerdings erinnerte ich mich daran, dass ich es in 12 Jahren Sportunterricht nicht einmal die Stange hoch geschafft hatte. Also schied auch diese Variante aus.

Schließlich schnappte ich mir einen Stock und ertastete mir langsam einen Weg durch den Fluss, an einer Stelle, an der ich nicht so sehr im Schlamm versank. Das war gar nicht so einfach, aber es gelang mir schließlich ganz gut. Also wurde Tasche für Tasche und schließlich noch mein Rad über den Fluss befördert.

Als ich am Abend den Campingplatz erreichte, war ich dementsprechend durch und schaffte es grade noch so, mir meine letzten beiden Büchsen Bier in den Kopf zu prügeln, bevor ich in den Schlafsack fiel und am nächsten Morgen erst relativ spät aus dem Zelt kroch.

Ein Land, dass mich nicht gehen lassen will

Da die Grenze nicht mehr weit entfernt war und ich wie so oft nicht so recht aus den Puschen kam, ließ ich mir am Morgen reichlich Zeit und radelte gemütlich in Richtung Litauen.

In Lyntup, etwa 2 Kilometer vor dem Landeswechsel, raste ein Geländewagen der weißrussischen Armee an mir vorbei. Ein Soldat sprang heraus und hielt mich an. Ich verstand nur “Granitsa ne rabotayet”, was heißt, dass die Grenze derzeit nicht in Betrieb ist. Na toll. Auf der Karte konnte er mir allerdings auch nicht zeigen, wo ich das Land verlassen darf. Er schien generell nicht die hellste Kerze auf der Torte zu sein.

Als ich eine Weile am Straßenrand stand und nach einer möglichen Alternative suchte, winkte mich ein älterer Herr zu sich heran. “Naja, vielleicht kann der mir helfen.”, dachte ich mir. Er hatte aber andere Pläne. Nachdem er mich zu seinen Kumpels zog, die alle gemeinsam am Tisch vorm Dorfladen saßen, wurde mir ein Kaffee angeboten, den ich auch gerne annahm. Jetzt wurde es verrückt! Aus allen Ecken des Dorfes strömten Menschen mit verschiedensten Gerichten heran, welche mir aufgetischt wurden.
Der Grund für das viele Essen erschloss sich mir aber recht schnell. Es sollte nämlich nicht bei einem Kaffee bleiben. Zu diesem wurden zusätzlich ganze 4 Flaschen Vodka gereicht. Danach hörte ich auf zu zählen.

Stazec, der ältere Herr, der mich eingeladen hatte, sprach genau zwei Wörter Deutsch: “Freundschaft” und “Rotfront”. Diese reichten allerdings aus, um immer im Wechsel auf eine der beiden Sachen zu trinken. Dabei trank die ganze Dorfgemeinschaft aus nur einem Schnapsglas, welches immer wieder neu gefüllt wurde. Nach jedem Schnaps musste etwas gegessen werden. Dabei gab es sehr leckere Dinge, wie russischen Borschtsch oder eine Schichttorte mit frischem Gemüse, saurer Sahne und Hähnchen, aber auch eher gewöhnungsbedürftige Sachen. Zu letzteren zählte mit Sicherheit der Verzehr von rohen Eiern, welche mit etwas Salz direkt aus der Schale getrunken wurden. Stazec demonstrierte mir dieses Prozedere. Allerdings stellte er sich dabei nicht allzu geschickt an und das halbe Ei landete auf seiner stark behaarten Brust. Ein herrlicher Anblick!

Die Gastfreundschaft nimmt kein Ende

Na, da hatte sich ja zumindest noch eines der Klischees erfüllt, die ich vor meiner Reise über dieses Land hatte – das vom Vodka trinkenden Weißrussen.

Die Dorfsuffis wankten dann auch irgendwann nach Hause, beziehungsweise ruhten sie ihre Köpfe auf dem Tisch aus. Ein bisschen stolz war ich schon, dass ich als einziger noch grade stehen konnte, aber wer weiß, wieviel Vorsprung die Jungs schon hatten.

Schließlich lud mich Hanna, welche dem Gelage schon die ganze Zeit beigewohnt hatte, ohne selbst zu trinken, zu sich und ihrer Familie ein, um dort die Nacht zu verbringen. Gute Idee, denn Fahrradfahren war dann vielleicht doch nicht mehr drin.

Als ihr Mann dann von der Arbeit kam, aßen wir Abendbrot und es wurde, wie sollte es auch anders sein, Selbstgebrannter (ca. 70%) serviert. Jetzt klappte es auch mit der Kommunikation immer besser.

Sowohl Hanna, ihr Mann als auch die Kinder lernten nämlich Deutsch in der Schule, da es hier keine Englischlehrer gibt. Generell sieht es in der Gegend nicht grade rosig aus, da mit der örtlichen Schnapsbrennerei vor 5 Jahren der letzte große Industriezweig in die Brüche ging.

Weißrussland – ein Fazit

Nachdem ich mit einem großen Katerfrühstück, Proviant für den Weg und einer kleinen Stadtführung am nächsten Morgen verabschiedet wurde, fuhr ich ca. 70 Kilometer nach Katlovka, um dort die Grenze nach Litauen zu überqueren.

Auf dem Weg versuchte ich das zu verarbeiten, was hier in den letzten Wochen geschehen ist. Einfach der Wahnsinn, wie ich in diesem Land aufgenommen wurde. Wenn ich Leuten erzählte, dass ich nach Weißrussland fahre, dann hörte ich oft die Stichwörter “Diktatur”, “Kommunismus” oder “das europäische Korea”.

Natürlich gibt es hier viele wirtschaftliche, politische und soziale Probleme. Aber das Land ist so viel mehr als das!

Allerdings brauchte es bei mir eine Zeit, um mit Weißrussland warm zu werden. Zu Beginn meiner Reise mutete es doch etwas komisch an, dass ich überall regelrecht angegafft wurde. Dies war vor allem in kleineren Orten oft der Fall. Hier haben einige Leute wahrscheinlich noch nie zuvor ein Fahrrad mit 6 großen Taschen bepackt durch ihre Siedlung rollen sehen. Also wurde beim Zaunstreichen der Pinsel fallen gelassen, die Motorsense ausgeschaltet und der Blick vollständig auf den exotisch aussehenden Fahrradfahrer gerichtet.

Ein Junge, der selbst mit dem Rad unterwegs war, vergaß dabei sogar, auf die Straße zu achten und ich sah nur noch im Augenwinkel, wie er unter dem Einsatz seines Gesichtes am Verkehrsschild bremste.

Wenn man jedoch mit den Leuten erst einmal ins Gespräch kommt, dann kann man sich vor lauter Gastfreundschaft gar nicht mehr retten. Ich war schon in einigen Ländern, aber das hier sucht schon seinesgleichen. Ich habe hier in so kurzer Zeit einige echte Freunde gefunden, bei denen ich mir sicher bin, dass wir noch lange in Kontakt bleiben.

Und auch, wenn es hier jetzt sicher nicht die ganz großen Highlights gibt, so kann man doch an einigen Stellen wunderschöne Landschaften entdecken und muss diese nicht mit hunderten anderer Touristen teilen.
Belarus, ich komme zurück!

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