Wer in Zentralamerika gute Tapezierer sucht, der sucht vergebens. Dafür gibt es Guatemala.
Wer hier Fahrrad fahren kann, der kann es überall
Ganz so flach, wie die Witze über das südwestlich an Mexiko grenzende Land, ist es aber gar nicht. Von der mexikanischen Stadt Tapachula ging es direkt nach der Grenze erstmal richtig hoch. Innerhalb von drei Tagen strampelten Darius und meine Wenigkeit von knapp über dem Meeresspiegel bis auf 3000 Meter hoch. Obwohl das an sich schon ein ordentliches Stück Arbeit bedeutet, ging es zwischenzeitlich auch immer wieder bergab. So standen am Ende über 4500 Höhenmeter im Fahrradcomputer von Darius.
Diese waren noch dazu hart umkämpft. In anderen Gebirgsregionen schmiegen sich Serpentinenstraßen sanft an den steilen Bergen an und verlängern so zwar den Fahrtweg, verringern aber gleichzeitig auch das Gefälle. In Guatemala legt man keinen Wert auf solchen Firlefanz. Hier wird Material gespart und die Straße geht halt so steil nach oben, wie der Berg gerade ist. 20 oder 25% Steigung sind da keine Seltenheit. Auf weniger befahrenen Seitenstraßen können es auch mal 30% sein, was dann selbst das Schieben kaum noch ermöglicht.
Das war wirklich nicht schön und an manchen Abenden haben wir dann auch nach dem ersten Bier noch ordentlich gezittert. Ähnlich schwer hatten es die LKW. An sehr steilen Stellen haben Restaurants auch gerne mal ein paar Eimer Wasser bereitgestellt. Wenn dann ein qualmender, schwer beladener LKW anhielt, konnte er sich diese auf den Motor kippen, noch bevor er Feuer fing.
How are you?
Die Menschen des bevölkerungsreichsten Landes Zentralamerikas freuten sich sichtlich über unsere Anwesenheit. Ständig wurde uns ein und dieselbe Frage zugerufen: “How are you?” Natürlich sehr nett, aber als wir anfangs noch dachten, die Leute wollten ein Gespräch mit uns anfangen, bemerkten wir, dass man auf Rückfragen selten gefasst war. Selbst auf spanisch nicht. Es wurde dann gelächelt, der Daumen nach oben gezeigt und schnell mit dem Motorroller das Weite gesucht.
Roller, LKW, Motorrad-Tuktuks und Eselkarren. Die Fortbewegungsmittel waren speziell auf dem Land sehr unterschiedlich zu westlichen Staaten. Aber alle teilten sich friedlich die Straße. Wirklich alle? Nein! Eine Gruppe Menschen nimmt sich hier ein Sonderrecht heraus – die Fahrer der sogenannten “Camionetas de Pollo” oder “Chicken Busses”. Das sind alte Schulbusse aus den USA, die ein wenig getunt und mit gefährlich aussehenden Mustern angemalt wurden. Wenn diese dann mit Vollgas die engen Bergstraßen hochheizen und dabei alle anderen Fahrzeuge rechts und links liegen lassen, müssen die Insassen alle Kraft aufbringen, um nicht vom Sitz zu fallen. Als Fahrradfahrer muss man beizeiten (am besten schon vor dem Ertönen der Hupe) rechts ranfahren, um nicht als Kühlerfigur zu enden. Die Busfahrer hier sehen sich als Könige der Straße und nehmen keinerlei Rücksicht auf niemanden. Je mehr Fahrten sie an einem Tag schaffen, desto mehr verdienen sie auch.
Nicht nur ich, sondern auch viele Guatemateken waren keine Fans dieser Busfahrer. Es kommt wohl sehr oft zu Unfällen. Von einer Frau hörten wir, dass ihre Schwester und andere Insassen bei einem dieser Unfälle verletzt wurden. Der Fahrer rannte daraufhin einfach in den Regenwald und wurde nie wieder gesehen.
Auf Scheiße und Katzenstreu
Der Rummel war in der Stadt. Ja, der Rummel. Der eine hier in Guatemala. Laut Aussagen eines Locals in „Palestina de Los Altos“ hier eine der Hauptattraktionen des Jahres. Gut, wenn man sich sonst in dem Örtchen umschaut, dann überrascht das nicht.
So ein einmaliges Event konnten wir uns nicht entgehen lassen. Jetzt wird richtig gerummelt!
Die Fahrgeschäfte dämpften allerdings ein wenig unsere Euphorie. Da wollten wir eher nicht mitfahren. Wieso? Seht selbst!
Statt uns in diese Höllenmaschinen zu setzen, gingen wir lieber essen. Dabei wählte ich eine Quesadilla und Darius den Salat mit Hähnchen. Dieser war sowohl in Qualität als auch in Quantität meinem mickrigen Teigfladen haushoch überlegen. Mein Begleiter wurde auch nicht müde, das zu betonen und schwärmte noch auf dem Nachhauseweg von seinem Salatteller und sein gutes Händchen bei der Speisenwahl. Dieses Gebaren verleitete mich zu der Aussage: “Darius, ich hoffe der Salat beschert dir eine ordentliche Scheißerei!” Und so kam es dann kurze Zeit später auch. Upps.
Als der beinahe zwei Meter große Radler die halbe Nacht auf der Keramik verbrachte und sich dabei auf Grund der hiesigen Architektur wahrscheinlich mit den Knien die Ohren aufrieb, tat mir die Aussage auch schon ein wenig leid.
Ob es wirklich am Salat lag, ist unklar. In der darauffolgenden Nacht ereilte mich nämlich dasselbe Schicksal. Nun gehört seit Tichuana ein regelmäßig wohl geformter Stuhl sowieso in das Reich der Mythen und Legenden, was aber in den nächsten Tagen und Wochen abging, war wirklich nicht schön.
Wir schafften es noch an den Lago Atitlan. Dieser von mehreren Vulkanen umgebene See stand ganz oben auf meiner nicht existierenden To-Do-Liste. Richtig genießen konnte ich ihn allerdings nicht, weil der Durchfall immer wieder zuschlug.
Daumen raus
Deshalb und wegen einem erneuten Riss in meiner erst in Los Angelas getauschten Felge, entschied ich, nach Antigua zu trampen.
Darius ist schon früher in Richtung Antigua aufgebrochen, weil er dort eine Sprachschule gebucht hatte. Jetzt war ich mit Mikkel und Gustav unterwegs, die auch keine Lust mehr hatten, sich nach Antigua zu schinden.
Dort wurde ich von Thomas aufgenommen. Der Deutsche, der mehrere Jahre mit dem Fahrrad um die Welt reiste, hat sich hier niedergelassen, weil er in Antigua eine Frau kennengelernt hat. Mit der ist er zwar nicht mehr zusammen, trotzdem möchte er in der Nähe der gemeinsamen Tochter bleiben.
Nach einigen Versuchen, meine Magenprobleme selbst zu behandeln und nach zwei Wochen, in denen ich Herr Günzelsens Baustellenklo aus dem dritten Wernerfilm ganz alleine hätte füllen können, entschied ich mich, zum Arzt zu gehen. Die private Klinik in Antigua ist auf einem super Standard. Ich war dort der einzige Patient und es wurde sich super um mich gekümmert. Erst gab es Kokoswasser mit Elektrolyten, damit ich trotz Kohletabletten auch noch eine Stuhlprobe rausdrücken konnte. Dann war diese innerhalb einer dreiviertel Stunde analysiert und ich wurde mit den passenden Medikamenten und allerhand Nahrungsergänzungsmitteln auf den Nacken meiner Krankenversicherung wieder entlassen. Siehe da, es wurde innerhalb von wenigen Tagen besser.
Ein unerwarteter Zwischenstopp
Jetzt konnte ich mit der gebrochenen Felge nicht mehr weiterfahren. Vernünftiger Ersatz war aber auch schwer zu bekommen. In vielen Radreise-Foren heißt es, dass man sich unbedingt ein Rad mit Felgenbremsen holen soll, weil es dafür weltweit überall Ersatzteile gibt. Das kann ich nicht mehr bestätigen. Die Scheibenbremse ist mittlerweile auch in Zentralamerika dominant. Zumindest im Bereich der hochwertigen Ersatzteile. Felgen für Felgenbremsen sind schwer zu bekommen.
Glücklicherweise sollten mich in etwa drei Wochen vier meiner besten Freunde in Costa Rica besuchen kommen. Ein neues Laufrad konnten meine Eltern dann bei Kurbelix bestellen, deren Angebot und vor allem deren Beratung via E-Mail einfach mal sensationell war. Über einen Kumpel, der bei Bike-Mailorder, einer zweiten richtig guten und günstigen Adresse für Fahrradteile, arbeitet, orderte ich dann noch Zahnkränze, Kassette, zwei Ketten, Schaltröllchen und einen neuen Reifen. Nach geschätzten 23.000 bis 25.000 Kilometern, die das Rad jetzt durch Europa, Nord- und Zentralamerika gerollt ist, fallen doch so einige Dinge an, die mal erneuert werden müssen. In Zentralamerika wäre das alles um ein Vielfaches teurer gewesen. Diesbezüglich lebt man in Deutschland geradezu im Schlaraffenland.
Jetzt musste ich aber trotzdem irgendwie nach Costa Rica kommen. Bus fahren lassen wollte man mich nicht, da ich für Nicaragua eine Woche im Voraus eine Durchreisegenehmigung beantragen müsste. Und das Fahrrad wollten sie auch nicht mitnehmen. Schade eigentlich. Auf dieses Land hatte ich mich schon gefreut, als ich als Jugendlicher Beaves and Butthead geguckt habe. Naja, dann musste ich eben zum ersten Mal auf dieser Tour auf das Flugzeug zurückgreifen.
Nach „Guate“ (Guatemala City) nahm ich dann einen der verhassten Chickenbusse, die mich vor kurzem noch von der Straße drängen wollten. Das Rad oben festgezurrt und dann hieß es sobald man auf der Landstraße war: ordentlich festhalten! Beim Kassieren wollte man mich, wie schon oft in Guatemala versucht wurde, ordentlich beim Wechselgeld bescheißen. Das können sie bei „Cheapers Creepers“, wie mich meine Frau gerne nennt, aber total vergessen. Also wurde der finster dreinschauende mit allerhand Schmuck und Tattoos behangene, aber eben auch gute zwei Köpfe kleinere, Kassierer am Schlafittchen zurückgezogen und nach kurzer, aber intensiver Diskussion hatte ich ihn dann so verwirrt, dass ich mehr Geld zurück bekam, als ich ursprünglich bezahlt habe. Hier muss man immer auf der Hut sein. Diese Maschen habe ich z. B. in Mexiko nicht erlebt. Da wurde zumindest bei uns Radreisenden keine Touristensteuer draufgeschlagen.
Schneechaos in Kalifornien
Als das Fahrrad dann verpackt war, konnte ich relativ günstig einen Flug nach Costa Rica buchen. Dort stellte ich mein Rad bei einer Freundin in der Hauptstadt San Jose ab. Dann ging es schnell noch in das Stadtzentrum für eine Nudelsuppe in Chinatown und anschließend nach Kalifornien zu meiner Frau. Durch die Abkürzung über den Luftweg hatte ich jetzt nämlich zwei Wochen Zeit und Rose brauchte mich dringender denn je. Auf der Ostseite der Sierra Nevada ist in diesem Winter nämlich eine beachtliche Menge Schnee gefallen.
Zuerst war es ja noch ganz lustig. Man freute sich, dass die Kinder auf den Schneebergen ganz einfach über die Gartenzäune zu den Nachbarn spazieren konnten, ohne auch nur einen Fuß auf die Straße zu setzen. Auch für die niedrigen Wasserstände im Mono Lake war der viele Schnee natürlich ein Segen. Spätestens, als im Februar eine gigantische Lawine zwischen Lee Vining und Mono City herabstürzte und einen normalerweise zehnminütigen Fahrtweg zwischen beiden Dörfern auf 4 bis 5 Stunden anwachsen ließ, war hier niemand mehr froh über den Schnee.
Insbesondere Rose hatte es schwer getroffen. Ihre kleine Hütte wurde durch die Lawine von Lee Vining isoliert. Das hatte zur Folge, dass sie sowohl von ihrem Arbeitsplatz, als auch vom örtlichen Supermarkt, sowie ihrem Auto abgeschnitten war. Dieses hatte sie in weiser Voraussicht dort geparkt, weil ihr Vermieter zum Schneeschieben in der Einfahrt einen Traktorfahrer engagiert hatte, der zwar tat, was er konnte, aber auch ca. 80 Jahre alt war und Parkinson hat. Infolgedessen konnte er die Schneemassen von über zwei Metern, die in ca. einer Woche fielen, nicht mehr beseitigen.
Zu dem Grundstück, auf dem Rose kleine Hütte steht, gelangt man über eine vielleicht 200 Meter lange, relativ schmale und steile Einfahrt. Neben der Hütte von Rose steht auch noch eine etwas größere, in der die Nachbarn Marry und Eric wohnen und auf der anderen Seite von ihnen nochmal das Äquivalent zur Behausung von Rose, in dem Patty, die gute Seele und wahrscheinlich am besten vernetzte Frau der Gegend, sowie ihre blinde Katze Zoe ihr Zuhause nennen.
Das Wort Haus habe ich mir bei dieser Aufzählung bewusst gespart. Die Bausubstanz der meisten Geräteschuppen in Deutschland ist wohl um ein Vielfaches besser als bei diesen über 100 Jahre alten Baracken. Im Sommer lebt man hier wunderschön am See, mitten in der Natur. Die fehlende Isolierung ermöglicht einen permanenten, angenehmen Luftzug auch ohne Klimaanlage. Im Winter hingegen nervt es, dass man als zusätzlichen Kälteschutz Decken an die Fenster hängen muss, um nicht zu erfrieren und so kein Sonnenlicht mehr nach innen dringen kann. Noch dazu hat der Vermieter, um bei der Versicherung (warum man solche Bruchbuden versichern muss, erschließt sich mir sowieso nicht) ein paar Groschen zu sparen, die Holzöfen ausbauen lassen. Jetzt wird mit Gas geheizt. Das ist zum einen teuer und zum anderen funktioniert die Heizung nicht, wenn der Strom ausfällt. Und das tut er bei so gut wie jedem Schneesturm. Ich weiß schon jetzt, dass ich mir, sollten wir da nach der Reise wieder einziehen, selber einen Holzofen einbaue. Wahrscheinlich wäre sogar genug Durchzug, um drinnen ein Feuer zu machen.
Evakuierung
Als der Strom für mehrere Tage ausfiel und sich die drei Hütten alle den kleinen Campingheizer von Rose teilen mussten, wurde die Lage ernst. Es musste evakuiert werden. Patty, die bessere Kontakte hat, als jeder andere in der Stadt, organisierte zwei Sheriffs in einer Pistenraupe, die sie selbst, Rose und die beiden Katzen Zoe und Miausers in einer Nacht- und Nebelaktion evakuieren konnten.
Nachdem sie in Mono City in dem Haus von Freunden, die wiederum in Lee Vining feststeckten, unterkommen konnte, wurde sie ein paar Tage später über eben jenen fünfstündigen Umweg nach Lee Vining gebracht, wo sie im Haus eines Arbeitskollegen wohnen konnte, der den ganzen Mist in seiner Heimat in Kolumbien aussaß.
Jetzt war allerdings ihr Fahrrad und ihre gesamte Ausrüstung noch unter dem Schnee vergraben. Das brauchte sie aber, schließlich wollte sie in wenigen Wochen mit mir gemeinsam fahren. Und da kam ich ins Spiel. Genau an Rose Geburtstag landete ich in LA. Zwei Tage später machten wir uns auf, um mit Schneeschuhen vom Highway aus über die mit mehreren Metern Schnee zugeschneite Einfahrt zu stapfen und alles rauszuholen. Nachdem wir das Wichtigste im Auto hatten, ging es zurück nach Lee Vining. Schließlich war, wie sollte es auch anders sein, für abends der nächste Schneesturm und eine erneute mehrtägige Sperrung des Highways, der ja sowieso schon ein riesiger Umweg ist, angesagt.
Kurz vor dem Ziel nahm der Wind dann an Fahrt auf und peitschte den Schnee über die Straße. Trotzdem wir uns dessen bewusst waren und Rose langsam fuhr, kam es wie es kommen musste. Auf dem Highway stellte sich ein Jeep quer und Rose konnte auf Grund von Blitzeis bergab weder bremsen noch lenken. Mit deutlicher Vorlaufzeit machten wir uns auf den Aufprall, der nicht mehr zu vermeiden war, gefasst. Zum Glück waren wir langsam. So ist uns und auch den Insassen des anderen Fahrzeuges nichts passiert. Weniger gut hatte es Blanche, den Subaru von Rose, erwischt. Wir riefen den Abschleppdienst und sahen, während wir warteten, noch einige Autos über die vereisten Straßen schlittern. Sogar der Schneeflug verlor an dieser Stelle die Kontrolle und stellte sich quer.
Glück im Unglück
Die erste glückliche Wendung des Tages: dem Rum ist bei dem Aufprall nichts passiert. Also gab es erstmal einen Grog zur Beruhigung der Nerven. Nachdem wir dann die Versicherung kontaktierten und den Schaden beschrieben, stellte uns diese bereits in Aussicht, dass das Auto eventuell ein Totalschaden sein könnte. Hört sich erstmal blöd an. Allerdings wollte Rose ja sowieso verkaufen und so müsste sie sich wenigstens nicht darum kümmern, selbst wenn wir ein wenig weniger Geld dafür bekämen.
Die Hilfsbereitschaft der Leute hier ist sowieso schon riesig. Allerdings rückten die Menschen auf Grund des extremen Wetters nochmal enger zusammen. Auch ohne Auto mangelte es uns an nichts und wir konnten Einkäufe einfach bei Freunden bestellen, weiterhin im Haus von Rose Arbeitskollegen leben und uns dort mittels Kamin warmhalten und eine gute Zeit mit guten Leuten verbringen.
Ein paar Tage später und nach dem Einsenden der Unfallfotos knallten dann die Sektkorken. Wir bekamen sage und schreibe 4000$ mehr, als wir bei dem Verkauf ursprünglich haben wollten. Selbst abzüglich der noch ausstehenden Raten wurde so ordentlich Geld in die Reisekasse gespült. „Blanche“ hat sich für uns geopfert.