45€ für ein Bett im 4-Personen Schlafsaal. Dazu ist die Bude abgeranzt und das Wummern der Lüftung des angeschlossenen Restaurants, deren Ausgang sich direkt unter dem Zimmerfenster befand, würde die meisten anderen Menschen um ihren wohlverdienten Schlaf bringen. Zum Glück konnte ich früher in der Disko schon immer im Sitzen vor der Box pennen. Nach dem langen Hinflug von Berlin über Frankfurt nach Vancouver musste ich mich sowieso zwingen, bis abends wach zu bleiben. Natürlich regnete es dann auch noch an allen drei Tagen meiner Anwesenheit in der größten Stadt British Columbias. Vancouver – wir werden wohl keine Freunde mehr.
Endlich wieder vereint
Zum Glück waren Meagan, ihr erinnert euch, und ihr Bruder Dakota am Samstag bei einem Konzert und konnten mich anschließend zurück nach Osoyoos mitnehmen. Dort war ich endlich wieder mit meiner Gattin vereint, die ich den Winter über bei ihnen im Keller angekettet hatte. Keiner hat sie mir ausgespannt und als Belohnung, dass sie so geduldig auf mich gewartet hat, gab es erstmal einen Satz frische Reifen.
Nachdem ich ein paar nette Tage mit meinen Freunden Meagan und Ian verbracht habe, bewegten wir uns über die nur 500 Meter von ihrem Haus befindliche Grenze in die USA. Nun, ein wenig Respekt hatte ich schon vor der US-Grenzbehörde. Man hört immer wieder von Reisenden wie mir, die keinen Rückflug haben und deshalb, trotz Nachweis über ausreichend finanzielle Mittel, erstmal an der Grenze abgewiesen werden. Die endgültige Entscheidung obliegt nämlich immer dem Grenzbeamten. Deshalb hieß es, alles gut vorzubereiten, damit der Grenzübertritt diesmal problemlos klappt. Nicht, dass es so ausschweifend wird wie damals in Belarus.
Daher erstmal die „Borschten absäbeln, damit ich nicht mehr rumrenne wie Wolle Petry“. Außerdem wurden alle Dokumente, wie Kontoauszüge und Versicherungsbescheinigung ordentlich in eine Mappe gepackt. Das schindet Eindruck. Wissen die ja nicht, dass meine wichtigen Dokumente normalerweise in der Ecke eines Raumes zusammengepfercht liegen und wechselweise mit Fett- oder Senfflecken überzogen sind.
Und siehe da, es klappte. Ohne wirkliche Nachfragen erteilten mir die freundlichen Grenzbeamten im Handumdrehen ein 3-Monats-Visum. Ab Oktober muss man übrigens vorher „ESTA“, das elektronische Einreiseformular für die USA, ausfüllen. Das machen die meisten jetzt sowieso schon, um Zeit an der Grenze zu sparen. Mein Geiz hat aber gesiegt und mir wurden dadurch nur 6 statt 21 USD abgeknöpft. Eine kleine Ehrenrunde durch Kanada musste ich dann trotzdem noch drehen um meinen „Bear Banger“ zu entsorgen. Schon verrückt, dass wegen einem Stift mit einer Platzpatrone dran so viel Aufwand betrieben wird, in manchen Gegenden aber 16-Jährige ohne Background-Check Waffen kaufen können.
Ganz ohne Klischees geht es nicht
Bereits der erste Tag nach meinem Grenzübertritt war denkwürdig und ein Zeichen der großartigen Gastfreundschaft, die mir hier dargeboten wird. Im kleinen Städtchen Tonasket wollte ich eigentlich nur kurz Rast machen. Dabei entdeckte ich zufällig, dass der vermeintliche Rastplatz gar kein Rastplatz, sondern ein kostenloser Zeltplatz für Radreisende war. Auf die Freude darüber und über den erfolgreichen Grenzübertritt, ging es erstmal in die Dorfschenke auf eine Hopfenkaltschale.
Es dauerte nicht lange, bis die Barkeeperin mich fragte, wohin ich noch fahren will. Als ich nur „Argentinien“ erwiderte, wurde mein Tresen-Nachbar hellhörig. Er war so beeindruckt ob meines Vorhabens, dass er mir gleich mal noch ein Bier spendierte. Na gut, wenn’s sein muss. Der gute Mann hieß Ian und war seines Zeichens Farmer. Er gab mir sogleich auch ein paar Kostproben der von ihm angebauten und anschließend getrockneten Pflänzchen mit auf den Weg. Wer weiß schon, was das war, bestimmt Brennnesseln oder sowas.
Anschließend kam dann noch sein Kumpel Jessie in den Saloon, der sogleich meinte, dass ich bei ihm im Garten doch viel besser zelten könne. Als wir dann so bei noch 3 Bier am Lagerfeuer saßen, fragte er mich, was für eine Waffe ich denn dabeihätte. Als ich erzählte, dass man mir selbst den „Bear Banger“ abgenommen hatte und ich auch auf niemanden schießen wolle, überzeugte er mich, wenigstens ein altes Bajonett als weiteres Geschenk anzunehmen. Schwerere Waffen lehnte ich hingegen ab.
Die ersten Tage entlang des Columbia River verliefen sehr entspannt. Ich fand schnell wieder zu alter Stärke zurück. Das ist das Gute am Radreisen, man trainiert nicht vorher dafür, sondern währenddessen. Es zeichnete sich bereits zu Beginn der Reise ab, dass die Straßen in den USA fahrradfreundlicher sind als in Kanada. Zunächst einmal gibt es meist mehrere verschiedene Möglichkeiten, um von A nach B zu kommen. Ein weiterer Vorteil ist der breite Randstreifen, der auf den meisten Highways vorhanden ist. Mit ein wenig Musik im Ohr und trotzdem immer einem Auge auf dem Rückspiegel, ließen sich auch monotone Abschnitte gut meistern.
Das Land der Warmduscher
„Warm Showers“, hatte ich ja schon einmal vorgestellt. Hier bieten kurz gesagt Radreisende oder zumindest Leute, die diese Form des Reisens unterstützen möchten, anderen Radreisenden eine Unterkunft an, ohne dafür eine finanzielle Gegenleistung zu bekommen. Dieses Netzwerk ist in den USA sehr aktiv und so bin ich allein in Washington bereits bei drei verschiedenen Leuten für insgesamt 5 Tage untergekommen.
Den Anfang machten Scott und Tonya. Die beiden haben ein großes Haus, das leersteht, seitdem die Kinder aus dem Haus sind. Daher leben dort immer mal wieder die verschiedensten Leute und dabei eben auch viele Radreisende. Am ersten Abend konnte ich Scott gleich dafür begeistern, mir das kürzlich geschenkte Bajonett wieder abzunehmen, mitsamt einiger anderer Sachen, die ich aussortiert hatte. Dafür ging die abendliche Tour durch Wenatchee´s Brauerei-Szene auf ihn. Ein bisschen wie bei „Hans im Glück“, dieses Getausche.
Auch nächsten Tag lernte ich durch Scott viele Leute kennen. Unter anderem auch Josh. Der hatte sich grad einen neuen Tesla gegönnt und ich durfte mal ein wenig mitfahren. Klar, von 0 auf 100 in zwei Sekunden fühlt sich schon nach Achterbahn an, aber am besten waren noch immer die Apps auf dem Bordcomputer. Bei einer konnte man sogar Pupsgeräusche machen, die von jedem Sitz oder an verschiedenen Stellen außerhalb des Autos ausgehen. Ich denke, dies ist für viele Kunden das Hauptargument für einen Kauf.
Am zweiten Abend kamen dann auch noch zwei französische Radler, die mir wertvolle Tipps für das Radfahren in Mexiko geben konnten. Josh, dessen Familie ursprünglich dort herkommt, kredenzte uns passend dazu Tacos satt und war begeistert, wie viel doch Radfahrer so essen können.
Die ersten Berge
Den nächsten Zwischenstopp machte ich in Packwood, wo ein weiterer Gastgeber aus dem besagten Netzwerk einfach sein Sommerhaus anderen Radlern überlässt. Ich habe ihn nie getroffen, aber er hat mir den Türcode zugesandt und ich konnte dort so lange wie nötig bleiben.
Berge werden mich entlang meiner Tour ja noch häufiger begleiten. Nachdem es anfänglich ja noch recht flach war, kamen jetzt ein paar knackige Anstiege mit über 1000 Höhenmetern dazu. Zum Glück habe ich eine sehr gute Übersetzung, was das Hochfahren deutlich angenehmer macht.
Packwood war der perfekte Ausgangspunkt, um in den Mt Rainier National Park zu gelangen. Den markanten und mit Gletschern überzogenen aktiven Vulkan, der der höchste Berg Washingtons und einer der höchsten der „Lower 48“ ist, kann man schon weit vor dem Erreichen der Nationalparkgrenze sehen. Ich unternahm zunächst ein paar Wanderungen im weniger hoch gelegenen Teil des Parks, da die höher gelegenen Wege auf Grund des späten Frühlings alle noch mit Schnee bedeckt waren.
Auf dem Weg zum „Cougar Creek Campground“ sah ich einen anderen Radler, der ohne jegliches Gepäck dort eine kleine Panne hatte. Julian aus Argentinien lebt eigentlich in einem umgebauten Krankenwagen. Sein Fahrrad hat er aber für kleinere Ausflüge immer dabei. Er war überglücklich, als ich anhielt, um seinen Reifen zu flicken. Dies brachte mir wohl gute Karma-Punkte. Als ich nämlich kurz darauf am Campingplatz fragte, ob denn trotz des „Campground FULL“-Schildes noch etwas frei sei, meinte der Ranger: „Du hast Glück, wir sind lange ausgebucht, aber vor 5 Minuten hat jemand abgesagt. Hätte ich Julian nicht geholfen, hätte ich wohl dumm aus der Wäsche geschaut, weil eigentlich alles seit langer Zeit reserviert war.
„Take me up to Paradise City“
Anschließend radelte ich zum Fuß des Mt Rainier, in den kleinen Ort „Paradise“. Ich hatte meine Sachen am Campground einschließen lassen und so waren die 1000 Höhenmeter gleich nach dem Frühstück nicht ganz so wild. Zum Abschluss ging es dann nochmal zu Fuß weiter, bis ich eingesehen habe, dass meine Wanderschuhe jetzt kein Wasser in Form von Schnee mehr aufnehmen können.
Dann hieß es erstmal von 1700 bis auf knapp 300 Meter runterrollen. Da kann ich mir auch schlimmeres vorstellen.
Die letzte Nacht in Washington verbrachte ich dann bei Todd und Cheryl, die mir mal wieder einen Schlafplatz anboten. Beide waren absolut fahrradbegeistert. Vor allem Todd war ein richtiger Nerd, wenn es um das Thema Ausrüstung ging. So konnte auch ich mir noch ein paar Tricks und Kniffe abschauen.
Die beiden hatten noch dazu eines der wohl pompösesten Häuser, in dem ich je gewohnt habe. Bei dem dargebotenen Ausblick musste ich es mir abends einfach im Whirlpool bequem machen, obwohl es draußen eigentlich viel zu warm dafür war. Mein Start in den USA verlief also schon mal sehr vielversprechend und lässt auf großes hoffen.
Respekt!!! Geniale Sache, die du machst…
Gruß aus der Heimat…
Hallo Willy, es läuft ja alles bisher richtig gut. Hab weiterhin viel Spaß beim Fahten und Leute kennenlernen. Die Zeit mit Charly ist sicherlich eine schöne Abwechslung. Liebe Grüße auch an Madeleine
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