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Lachse und Milliardäre

Meine Hose hatte ihren einstigen Charme verloren. Weder Schlamm noch Essensreste sorgten für ihren sonst so typischen Look. Auch der monotone, ja fast schon beruhigende, Klang des großen Dieselgenerators war den hektischen Geräuschen des Feierabend-Verkehrs gewichen. Moment mal. Hier kann ich ja gar nicht mehr jedes entgegenkommende Fahrzeug grüßen, denn sonst würden mich die Leute noch für den Papst oder für die Königin von England halten. Was ist denn hier los? Ach ja – wir sind wieder in der Zivilisation.

Genauer gesagt, es hatte uns nach Vancouver verschlagen, wo wir zunächst ein paar Erledigungen machen mussten. Optimistischer Weise lagerten wir einige Wintersachen bei Adam ein, in der Hoffnung, sie erstmal nicht mehr zu benötigen. Im Gegenzug wurde das Nötigste gekauft, um unser Auto Roadtrip-tauglich zu machen. An diesem waren auch ein paar kleine Reparaturen durchzuführen. Glücklicherweise kamen Paul und Lisa nur ein paar Tage nach uns in Vancouver an und konnten dabei behilflich sein. Außerdem gab es zu dieser Zeit in British Columbia noch keinen Lockdown, weshalb wir die Kneipen unsicher machen konnten.

Krasse Gegensätze

Die größte Stadt British Columbias gilt als eine der lebenswertesten Städte der Welt. Auch ein Großteil der Inhaber des kanadischen Working Holiday Visas verbringt hier zumindest einige Monate. Das versteh ich ehrlich gesagt nicht so wirklich. Wie in vielen Großstädten Nordamerikas, gibt es hier, historisch bedingt, keine wirkliche Altstadt. Das mag seine praktischen Vorzüge z. B. in der Infrastruktur haben, wirkt sich aber optisch nicht unbedingt vorteilhaft auf das Erscheinungsbild einer Stadt aus. Das ist natürlich ein persönlicher Eindruck, aber ich kann solchen modernen und sterilen Städten wenig abgewinnen.

Wobei auch nicht alles steril ist. Richtig krass war die Armut einiger Menschen vor Ort. Es fiel mir bereits bei unserem ersten kurzen Besuch in Vancouver auf, doch jetzt verstärkte sich dieser Eindruck nochmal. Vancouver hat ein echtes Problem mit Armut, Drogen und Obdachlosigkeit. Nur, scheint das keinen weiter zu stören. Spätestens durch meine Zeit in Kapstadt dachte ich, dass mich hier nichts mehr schockieren kann. Natürlich gibt es in Südafrika noch weit mehr Armut als in Vancouver, doch hier hätte ich es nicht so schlimm erwartet. Läuft man die East-Hastings-Street hinunter, denkt man wirklich, man sei im falschen Film. Überall völlig zerschossene Menschen, die auf dem Gehweg liegen. Das Hauptproblem heißt hier wohl Fentanyl, welches mit Heroin gemischt viele Leute absolut fertig macht. Echt gruselig, da denkt man wirklich, denen fällt beim Laufen gleich der Fuß ab. Wer noch halbwegs seine Sinne beisammen hat, verdient sich mit dem Verkauf von mutmaßlich geklauten Elektro-Waren, welche auf Decken auf dem Boden ausgebreitet werden, noch ’ne Mark für den nächsten Schuss. Auch das Ausmaß der Zeltstädte war durchaus beeindruckend.

Und die Behörden? Machen nicht wirklich viel. Laut der Aussage meines Kumpels Adam war die letzte größere Maßnahme, dass man den Obdachlosen Prämien angeboten hat, wenn diese gewillt sind, ihr erbärmliches Dasein in den Vororten der Stadt zu fristen. Das war kurz vor den olympischen Winterspielen 2010, als man die Stadt der Weltöffentlichkeit „sauber“ präsentieren wollte. Da dies wohl kurzfristig Früchte trug, konnte man sogar Geld sparen und eine Einrichtung für Abhängige und geistig kranke Menschen schließen. Wie es sich derzeit im Stadtbild zeigt, wurde dabei nicht viel weiter als von der Wand bis zur Tapete gedacht.

Natürlich konnten wir der Stadt auch etwas Positives abgewinnen: ihre Umgebung. So ist Vancouver durchzogen von wunderschönen, weitläufigen Parks. Aber auch in der echten Wildnis ist man im Handumdrehen. Die Möglichkeit, Ski zu fahren und zu surfen an einem Tag wird hier oft genannt.

Bäume gab es zu Genüge. Ein bisschen verwahrlost bin ich wohl immernoch.

Wahrscheinlich ist Vancouver schon ganz schön. Aber der Funke ist nie wirklich auf mich übergesprungen. Generell bin ich eben auch nicht so der Stadtmensch und nur wenige Metropolen haben bei mir bisher das Bedürfnis geweckt, lange in ihnen zu verweilen. Vancouver gehörte jedenfalls nicht dazu.

Vancouver Island

Fast schon zu groß, als das hier ein echtes Insel-Feeling aufkommt, ist Vancouver Island. Die größte Pazifikinsel Nordamerikas kann mit einer Nord-Süd-Ausdehnung von ca. 450 Kilometern so manchen europäischen Staat alt aussehen lassen. Die Ballungszentren sind vor allem Victoria und Nanaimo. In letzterem legte unsere Fähre dann auch an.

Von hier aus ging es zu Sam, unserem späteren Chef, wo wir mein Fahrrad und ein paar andere Sachen ablegten. Dann brachen wir erstmal an die Pazifikküste auf, wo wir ein paar Tage rund um Tofino und in dem berühmten Pacific Rim National Park verbrachten. Hier kann man wunderbar wandern und, wenn man es denn kann, auch ganzjährig gut surfen. Im März und April kann man vom Strand aus auch Buckelwale beobachten, wenn man, wie wir, etwas Glück hat. Wer sich die teuren Zeltplatz-Gebühren sparen möchte, dem sei empfohlen, in eine der Logging-Roads am Rande des Nationalparks zu fahren und dort über Nacht zu parken. Leider waren Corona-bedingt einige Trails gesperrt, da sie zu nah an den Dörfern der First Nations vorbeiführen. Aber alles, was offen ist, haben wir uns angeschaut.

Fliegenfischen für Jedermann

Wieder bei Sam angekommen, duschte ich nur kurz um dann auch schon mit ihm zu einem „Flyfishing Trip“ aufzubrechen. In Erwartung dessen, was dann auch wirklich so kam, blieb Caro schon mal vorsorglich zu Hause bei Sam’s Freundin Jen. Zum Glück, wie sich später herausstellen sollte.

Zu zehnt, was auch zufällig dem maximal in BC Zulässigem entsprach, fand man sich in einer versteckten Recreation Site in der Nähe eines Flusses im Norden von Vancouver Island ein. Nachdem die Kettensägen heißgelaufen waren und das Lager einigermaßen regenfest gemacht wurde, gaben sich die „Camper“ fast gänzlich dem Genuss von Alkohol und Gras hin.

Zur Unterhaltung gab es eine große Leinwand, auf der Musikvideos abgespielt wurden. Außerdem wurde ein provisorischer Schießstand errichtet. Wenn die Hälfte der Leute aus den Staaten stammt, muss das wohl so sein. Und wer weiß denn auch nicht, dass ein leichter Schwips die Sicherheit im Umgang mit Feuerwaffen nur fördern kann.

Ebenfalls erwähnenswert ist die kulinarische Komponente des Wochenendes. Da fast alle der anwesenden Personen Fischer und Jäger sind, gab es richtig gute Sachen zu essen. Geräucherter Lachs, und ich meine hier nicht den Dreck, den man im Supermarkt findet, und Elch-Ragout sind nur zwei der servierten Köstlichkeiten gewesen.

Enten-Eier zum Frühstück. Fetzt!

Ach ja, eigentlich wollten wir ja zum Fliegenfischen hierher kommen. Naja, ich vermute wohl, dass die meisten ihre Route nur dabei hatten, um die drei- bis viertätige Abwesenheit von Frau und Kind zu rechtfertigen. Geangelt hat im Endeffekt nicht mal die Hälfte der Leute. Ich habe es mit dem technisch anspruchsvolleren Fliegenfischen gar nicht erst probiert, da ich schon beim Spinnfischen zwei Kunstköder in den Bäumen des anderen Flussufers eingebüßt habe. Sam war noch der ausdauerndste Angler, hat aber an dem Wochenende effektiv sicher auch nicht mehr als eine Stunde gefischt. Auch wenn der Hauptreisezweck nicht wirklich Beachtung fand, habe ich das Wochenende selbstredend trotzdem sehr genossen.

Stuart Island

Wenn man seinen neuen Chef bei so einem Gelage kennenlernt, ist das Verhältnis natürlich gleich ein anderes. Nach ein paar Tagen Vorbereitung ging es dann nach Stuart Island. Die kleine Insel, welche sich zwischen Vancouver Island und dem kanadischen Festland befindet, gehört nicht einem Milliardär, wie es der Wikipedia-Artikel fälschlicherweise behauptet. Vielmehr haben hier mehrere der Reichsten Menschen der Welt (Sam ist noch keiner von ihnen) ein Anwesen. Endlich verkehrte ich also mal in mir angemessenen Kreisen. Als wir zum ersten Mal in Sams bis oben hin voll bepacktem Boot dort anlegten, erschloss sich mir auch gleich, warum die es hier alle so geil finden. Stuart Island liegt in einer der schönsten Gegenden, die ich bisher gesehen habe. Malerisch schlängelt sich der pazifische Ozean zwischen den Discovery Islands entlang. Rechts und links umsäumt von steilen Felshängen, bietet sich ein unglaubliches Panorama dar. Überall ist Leben. Robben und Seelöwen sonnen sich auf den Felsen am Ufer, Orcas und Buckelwale kreuzen den Weg und durch das glasklare Wasser, kann man Seesterne und Fische beobachten.

Orcas auf der Jagd.

Lediglich das ganze Treibholz im Wasser trübt das Idyll ein wenig und zwingt unser Boot dazu, Schlangenlinien zu fahren. Eines der stärksten Gezeiten-Systeme der Welt sorgt dafür, dass bisweilen riesige Baumstämme durchs Wasser treiben. Teilweise gelangen sie durch das Abholzen der Küstenwälder dort hin. Die Holzindustrie ist ziemlich groß in Kanada und es werden auch die steilsten Hänge bearbeitet. Hierfür werden Menschen, Maschinen und sogar ganze Häuser, die den Holzfäller als Unterkunft dienen, über das Wasser befördert. Da wundere ich mich immer wieder, wie sich dieser Aufwand noch lohnen kann.

Ein weiterer Grund für das ganze Treibholz war ein massiver Erdrutsch in einem Gletschersee nahe des Bute Inlets. Dieser löste eine geschätzt 70 Meter hohe Flutwelle aus, die massenhaft Holz in die umliegenden Gewässer spülte. Dieses ist vor allem an den Einschlüssen von Gestein zu erkennen.

Immer ein guter Ausblick auf der Insel.
Eines der stärksten Gezeiten-Systeme der Welt. Nicht immer ganz einfach zu Befahren, aber ziemlich beeindruckend.

Sam hat Stuart Island gemeinsam mit seinem Vater Larry vor über 20 Jahren für sich entdeckt. Seitdem er 19 ist, leiten die beiden hier gemeinsam eine Fishing Lodge. Gäste sind vor allem ihre Landsleute aus den USA, die hier zum Lachs-Angeln herkommen. In den letzten Jahren hatten sie vor allem mit zwei Dingen zu kämpfen: Corona und den schärferen Fischereibestimmungen. Letztere erlauben es erst nach einem gewissen Zeitpunkt, welcher immer erst irgendwann in der Saison bekannt gegeben wird, einen Lachs mit nach Hause zu nehmen. Diese rufen, angesichts der nach wie vor parallel stattfindenden industriellen Befischung des Pazifiks, bei vielen Anglern Unverständnis hervor. So hat sich bei einigen Insulanern offenbar die Devise „Filet & Release“ Anstelle von „Catch & Release“ durchgesetzt. Das kann man natürlich nicht bringen, wenn man damit, wie Sam oder andere Guides, seine (Fisch-)Brötchen verdient.

Unsere neue Wirkungsstätte. Den schönsten Sonnenuntergang der Insel kann man sich eben nicht unbedingt kaufen.

Gefischt haben wir trotzdem zur Genüge, wenn auch nicht auf Lachs. Ich muss sagen, dass der Angelsport bisher die Entdeckung für mich während meines Kanada-Aufenthaltes ist. Ein Hobby, dem ich in Zukunft noch intensiver nachgehen möchte.

Manchmal immer noch etwas holprig: die Nahrungsbeschaffung.

Auch andere Meereslebewesen, wie Garnelen und Austern, fanden den Weg vom größten Kühlschrank der Welt direkt auf unsere Teller. Leider sind wir nicht mehr dazu gekommen, Seegurken zu sammeln. Diese sollen nämlich auch köstlich sein.

Der erste Versuch war nix. Aber von Mal zu Mal konnten wir mehr Garnelen „fangen“.
In Salzwasser gekocht …
… ein Träumchen.
Auch Austern gab es zur Genüge!

Zu ungewiss …

… war dann leider der weitere Werdegang der Lodge. Da momentan weder die Grenzen zur USA offen, noch Reisen zu Freizeitzwecken innerhalb British Columbias erlaubt sind, ist es auch ungewiss, wann denn die ersten Gäste eintrudeln. Erst, wenn das der Fall gewesen wäre, hätten wir Vollzeit dort arbeiten können. Da ich hauptsächlich als Koch eingestellt war und das Take-Away-Geschäft auf einer relativ einsamen Insel nicht grade eine besonders vielversprechende Sache ist, konnten wir immer nur ein paar Stunden in der Woche arbeiten. Nicht genug, um wirklich Geld zu sparen.

Den guten Monat, den wir in der Lodge verbrachten, waren wir als Hausmeister angestellt, brachten ein paar Sachen auf Vordermann und hatten auch viel Freizeit. Ab und zu war Sam auch mal ein paar Tage nicht da und wir mussten uns alleine um die Lodge kümmern. Dafür gab es Kost & Logis & Bier, sowie ein paar Dollar obendrauf.

Nebenjob: Pirat

Es war definitiv eine coole Zeit. Sam, Jen und ihr Hund Luca sind uns echt ans Herz gewachsen. Vor allem letzteren hätten wir am liebsten mitgenommen. Mit Sams Arbeitsanweisungen konnte ich mich auch anfreunden, begannen sie doch meist mit „Willy, put on some tunes and roll a big fat doubie and then, …“. Allerdings war es auch manchmal sehr anstrengend, da sich alles 3 Mal am Tag änderte und er 1000 Ideen gleichzeitig hatte. Genauso viel Zeit wie wir mit Arbeiten verbrachten, verbrachten wir manchmal damit, auf ihn zu warten.

Schoß-Hund Luca und Caro.

Nordlichter und Wilde Partys

Als bereits feststand, dass wir die Insel bald verlassen werden, wollten wir noch die Campingsaison eröffnen. Dazu sind wir einmal ans andere Ende von Stuart Island, nach Basset Bay, gewandert.

Hier zeltet sogar Caro gern.

Besser hätte ein Camping-Ausflug nicht laufen können. Angekommen in der malerischen Bucht schlugen wir unsere Zelte auf und ich fing auch schon beim zweiten Auswurf einen netten Fisch fürs Abendessen. Feuerholz war auf Grund des bereits erwähnten Treibguts kein Problem. Als wir dann da so saßen, entdeckte ich einen leichten Schimmer am Himmel. Da Caro diesen auch sah, lag es wohl nicht am Pappkarton-Rotwein. Eine Langzeit-Belichtung mit der Kamera bestätigte schließlich meine Vermutung – es handelte sich um Nordlichter. Diese wurden im Laufe des Abends dann auch noch intensiver und flackerten immer wieder am Horizont auf. Dabei entstanden vielleicht die besten Bilder, die mir in meiner bescheidenen Fotografen-Laufbahn bisher gelungen sind.

Am Wochenende, bevor wir wieder nach Vancouver Island fuhren, veransteltete Sam zufällig auch eine kleine Party mit seinen Kumpels, die ich ja schon von unserem produktiven Fliegenfisch-Wochenende kannte. Ich würde es mal so beschreiben: Besoffen mit der Angel nach Elchkühen werfen, wäre hier noch gar nix gewesen …

Call of the wild

Zum Glück hatten wir noch eine Alternative in der Hinterhand. Mit einer Bäckerei im Yukon hatten wir bereits im Winter Kontakt. Diese Gegend faszinierte mich schon immer. So waren wir zwar etwas traurig, Stuart Island zu verlassen, freuten uns aber auch schon auf das nächste Abenteuer…

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