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Litauen – Eine Nacht auf dem Revier und Besuch aus der Heimat

An der Grenze ging es relativ schnell und bei der Einreise nach Litauen wollten die Zöllner noch nicht einmal mein Gepäck begutachten. Lediglich für meine Reise und vor allem für meine hydraulischen Felgenbremsen interessierten sich die Jungs. So was hatten sie bisher noch nicht gesehen.

Eine Nacht auf dem Polizeirevier

Als ich dann von der Grenze in Richtung Vilnius radelte, fuhr auf einmal ein Mountainbiker in einer neonfarbenen Warnweste neben mir und begann, mich über meine Reise auszufragen.

Schließlich frage er mich, wo ich denn heute schlafe. Diese Frage ist meist gleichbedeutend mit einer Einladung, wie ich bereits in Weißrussland gelernt habe. Das kam mir auch sehr gelegen, da für die darauf folgende Nacht Gewitter angesagt waren, welche dann auch recht heftig ausfielen. Also antwortete ich mit „Don’t know yet.“, woraufhin mich der freundliche Mountainbiker einlud, bei ihm im ca. 5 Kilometer entfernten Büro zu nächtigen. Deal!

Auf meine Nachfrage, was er denn arbeite, entgegnete er lediglich, „Grenzpolizei“. Hmm, da hat er meine Frage wohl nicht richtig verstanden, vermutete ich. Als wir dann wenig später vor einem großen Sicherheitstor ankamen, wurde mir klar, dass er wirklich bei der Polizei arbeitet. Allerdings war er nicht irgendein popliger Grenzbeamter, sondern Commander der Grenztruppen des Bezirkes Vilnius. Daher hatte er wahrscheinlich auch die Befugnis mich für eine Nacht in einem Zimmer unterzubringen, welches eigentlich für die Beamten gedacht ist, die hier zu Polizeihundeführern ausgebildet werden.

Normalerweise bin ich ja der Bullerei selten wohlgesonnen, aber hier war man doch echt sehr gastfreundlich. Ich nehme aber an, dass es auch daran lag, dass Commander Virgilijus selbst begeisterter Radfahrer ist und man sich unter diesen Umständen eben gerne hilft.

Ein erster Besucher aus der Heimat

Im Baltikum bin ich, entgegen meinem Naturell, an einen einigermaßen vorgegebenen Zeitplan gebunden, bekomme ich doch sowohl in Vilnius, als auch in Riga Besuch von Kumpels bzw. in Tallin von meiner Freundin.

Den Anfang machte TomEx aus Cottbus, welcher von Berlin aus nach Vilnius fliegen und dort um 10 Uhr vormittags landen sollte. Anschließend wollten wir uns an der von ihm gebuchten Unterkunft treffen.

Als er mir jedoch mitteilte, dass er am Vorabend von der Spätschicht aus direkt zu Nuttenolli (einem Cottbuser Original) auf 1-2 Bier gehen will, anstatt im heimischen Bett etwas Kraft für die anstehenden Tage zu sammeln, war mir schon klar, dass ich nicht unbedingt bereits kurz nach 10 an unserer Bleibe warten muss.

Hier mal ein kleiner Ausschnitt aus unserem Nachrichtenverlauf des Morgens seiner Ankunft:

Ich: „Landest du um 10 Ortszeit oder deutscher Zeit? (7:18)

Ich: „Ahh, hab`s gefunden. Ortszeit. Sehr Gut!“ (7:35)

TomEx: „Uhrzeit“ (7:40)

TomEx: „Und bin mehr als Scherze“ (7:41)

TomEx: „Ahrte“ (7:41)

TomEx: „‚Herz'“ (7:41)

TomEx: „Arte“ (7:41).

Mein anfänglicher Verdacht bestätigte sich also und so irrte der Junge, trotzdem er über seine Uber-App die genaue Adresse der Unterkunft eingegeben hatte, etwa eine halbe Stunde planlos durch die Stadt. Manchmal frage ich mich, wie er es schaffte, 23 Jahre lang zu überleben. Da ich ja noch nüchtern war und an diesem Donnerstag schließlich Männertag gefeiert wurde, steuerten wir erst einmal den nächsten Biergarten an.

Die Bierpreise in Litauen sind übrigens weit höher als erwartet. Das liegt daran, dass die Alkoholsteuer vor einigen Jahren signifikant angehoben wurde, um den Alkoholmissbrauch einzudämmen. Laut einer 2011 durch die WHO veröffentlichte Studie, liegt der pro Kopf des Konsums von Alkohol nämlich weltweit in nur zwei Ländern über dem Niveau, welches hierzulande erreicht wird (Weißrussland ist übrigens die Nummer 1!).

Demzufolge bekommt man hier in der Kneipe selten mal ein Bier unter 3 Euro und auch Werbung darf lediglich für den alkoholfreien Gerstensaft gemacht werden.

Schneefall im Mai

Nach dem Biergarten benötigte mein temporärer Reisegefährte erst einmal ein kleines Mittagsschläfchen. Nachdem er am Abend erwachte, fühlte er sich noch immer nicht sonderlich fit. Nun muss man über TomEx wissen, dass er dem Schnee nicht abgeneigt ist und das nicht nur im Winter. So machte er sich auf die Suche nach einer kleinen Portion des „Wachmachers“. Ich folgte ihm mit etwas Abstand und freute mich bereits diebisch auf das Missglücken seines Unterfangens.

Nachdem er vergeblich in kleineren Wettbüros und an Taxiständen fragte, ob man ihm dort helfen kann, reagierten schließlich zwei mehr als dubios aussehende Jungs, die am Bahnhof rumlungerten. Also folgten wir ihnen in eine abgeranzte Wohnsiedlung. TomEx gab den beiden 50 Euro und sie verschwanden in einem der Gebäude. Mir war sofort klar, dass er das Geld nie wieder sehen würde und dafür auch keine Gegenleistung erhalten sollte. Er hatte aber noch Hoffnung. Diese wurde jedoch zu Nichte gemacht, als zwei andere Typen aus dem Haus kamen und ihm freundlich zu verstehen gaben, dass er sich verpissen soll.

Nachdem er eine Weile mit ihnen diskutierte, zeigte er schließlich das Foto der Visitenkarte meines Kumpels, des Commanders. Diese hatte ich ihm im Vorfeld seines Besuches geschickt. Nun wich ich ein paar Schritte zurück, da ich mir sicher war, dass er demnächst ein Messer im Bauch haben würde. Allerdings begannen die Jungs jetzt wegzurennen und ich sprach nun ebenfalls ein Machtwort und erklärte seine Suche nach dem weißen Gold für beendet.

Zwar ärgerte er sich kurz über seinen monetären Verlust, aber wie er mir zu einem früheren Zeitpunkt bereits einmal schilderte, gehört das „abgezogen werden“ für ihn zu einer authentischen Reiseerfahrung einfach dazu. Naja, wem’s Spaß macht. Ich amüsierte mich jedenfalls prächtig.

Unterschiedliche Lebensweisen

Wenn ich reise, dann will ich das so lang wie möglich tun. Das bedeutet natürlich, dass ich mein Budget sehr gut einteilen muss und auf sinnfreie Ausgaben weitestgehend verzichte. Wenn bspw. doch mal für eine Übernachtung gezahlt wird, dann nutze ich das auch aus. Da packe ich auch schon mal das Klopapier im Bad und das Öl aus der Küche ein. Auch den Euro für einen neuen 5-Liter-Kanister Trinkwasser spare ich mir. Da kann man schließlich auch den Opi nach Wasser fragen, der grad die Blumen im Garten gießt oder ohne Scham ins Tankstellenklo marschieren und diesen dort auffüllen. Diese Beispiele mögen vielleicht etwas extrem klingen, aber wenn man so lange wie möglich reisen möchte ohne dabei zu arbeiten, muss man hin und wieder einen parasitären Lifestyle an den Tag legen.

TomEx hingegen ist, wie ihr euch sicherlich vorstellen könnt, ein absoluter Lebemann. Geld spielt keine Rolle und auch Strecken, die man locker zu Fuß gehen kann, werden nach drei Bieren mit dem Taxi zurückgelegt. Bzw. fährt er auch mal gerne 5 Kilometer durch die Stadt, um den einzigen Döner, der nachts geöffnet ist, ausfindig zu machen. Da prallen also Welten aufeinander, wie ihr seht.

Hier mussten wir natürlich ab und an mal Kompromisse finden, was uns aber recht gut gelang, wie ich finde.

3 Backpfeifen in 3 Tagen

Die Frage, ob mein Kumpel jene verdient hat, kann sich jeder selbst beantworten. Ich finde schon. Doch wie kam es dazu?

Am ersten Abend hatte er einen ewig anhaltenden Schluckauf und ich wollte die Backpfeife als überraschendes Moment einsetzen, um diesen zu beenden. Allerdings schaffte ich es damit lediglich, die Aufmerksamkeit der Besucher der kleinen Bar, in der wir uns befanden, auf uns zu ziehen.

Am folgenden Tag wollte TomEx unbedingt in einen Club. Ich bin ja kein Freund von irgendwelchen Tanzlokalen, in denen schlechter Mainstream Techno läuft, versprach ihm aber, einmal mitzukommen. Während er auf der Tanzfläche ordentlich abzuppelte, verschlug es mich nach kurzer Zeit auf einen Barhocker, von dem aus ich wenig später in das Reich der Träume fiel. Dort verweilte ich aber nicht allzu lange. TomEx war besorgt, dass mein Tiefschlaf der Security nicht sonderlich gut gefallen würde, weshalb er mich unsanft wachrüttelte. Nur vergaß er dabei, dass ich im Schlaf unberechenbar bin und nicht so recht durchsehe, ja manchmal sogar schlafwandle. Demzufolge fing er sich mal wieder eine, dass es nur so flimmerte zwischen seinen Augen.

Auch hier hatten wir es mal wieder geschafft, die Aufmerksamkeit auf uns zu ziehen und verließen das Lokal. Auf dem Weg nach draußen holte ich mir vom Türsteher noch unseren Mitternachtssnack (die Reste vom Abendbrot) zurück, den wir zu Beginn unseres Aufenthaltes dort abgeben mussten. Er gestand mir, dass er es selbst gegessen hätte, wäre in der Assiette nur etwas besseres als angegessene Zeppeline und geräucherte Schweineohren gewesen.

Die dritte Backpfeife gab es dann auf seinen eigenen Wunsch, weil er es lustig fand, wie sich an den beiden Vorabenden alle Leute nach uns umdrehten.

Abschied

Ein kleines Kulturprogramm stand dann natürlich auch noch an. Neben einer Free Walking Tour (diese mache ich fast immer, wenn ich größere Städte besuche), standen auch 2 Fußballspiele und der Besuch der Burg Trakai an. Letzterer war für mich eher wenig sinnvoll, da ich auf meinem späteren Weg an die Küste sowieso an jener vorbei fahren sollte.

Es war schön nach über einem Monat auf Reisen mal wieder ein vertrautes Gesicht zu sehen. Trotz einiger verstörend anmutender Anekdoten aus diesen 4 Tagen verbrachten wir eine gute Zeit in Litauens Hauptstadt.

Allerdings ist TomEx auch ein sehr belastender Zeitgenosse und nach so vielen Tagen in Vilnius freute ich mich auch, endlich wieder im Sattel zu sitzen.

Dieser Blogeintrag war vielleicht etwas anders als erwartet und mag auf den einen oder anderen Leser bisweilen etwas verstörend oder abstoßend wirken, allerdings möchte ich hier ja die unverblümte Wahrheit schreiben.

Demnächst geht es dann wieder mehr ums Radreisen und meinen weiteren Weg durch Litauen.

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