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Lettland – zwischen Bunkern und Burschenschaften

Da sich für Mitte Juni in Riga mal wieder Besuch angekündigt hatte, musste ich meine Route etwas ausdehnen. Also entschloss ich mich, von Klaipeda aus immer der Küste entlang in Richtung der lettischen Hauptstadt zu radeln.

Das deutscheste „Hotel“ in Lettland

Irgendwie ist es bereits zu einer kleinen Tradition geworden, dass ich die erste Nacht in einem neuen Land an etwas ungewöhnlichen Orten verbringe. So flüchtete ich bspw. in Weißrussland vor meinem ersten Dauerregen in einen sehr dichten Wald, um dort mein Zelt aufzuschlagen oder verbrachte die erste Nacht auf litauischen Boden in einem Polizeirevier.

Ohne darüber nachzudenken, wurde auch die erste Übernachtung in Lettland etwas ganz besonderes. Trotzdem ich erst mittags aus Klaipeda aufbrach, war ich sehr motiviert und strampelte noch satte 120 Kilometer. Dies ist hier zu dieser Jahreszeit glücklicherweise kein Problem, da die Sonne erst sehr spät untergeht. So lange, wie ich nach wie vor zum Zusammenpacken brauche, wäre ich in der Nähe des Äquators oder in einer anderen Jahreszeit eher aufgeschmissen.

Schließlich war ich dann doch etwas kaputt und suchte nach einem Lagerplatz. Fündig wurde ich ein paar Kilometer nördlich von Liepaja. Hier befinden sich am Strand ein paar alte Bunker aus dem zweiten Weltkrieg, welche dort als Denkmal vom Abriss verschont geblieben sind. Mit dem Denkmalschutz nahm man es offensichtlich aber nicht ganz so genau, zierten doch bunte Bilder der örtlichen Graffiti-Szene die Betonklötzer. Also nahm ich an, dass es auch kein Problem sei, wenn ich dort für eine Nacht meinen Schlafsack ausrolle. Deutscher kann man im Ausland wirklich nicht übernachten. Lediglich die Erbauer dieser kleinen Festungen mit Meerblick würden sich wohl im Grab umdrehen, wenn sie wüssten, dass ihre ehemaligen Verteidigungsanlagen jetzt linken „Zecken“ wie mir als Biwakplätze dienen.

Ebenfalls weniger erfreut über meine Anwesenheit waren zwei junge Frauen, welche den herrlichen Sonnenuntergang am Meer nutzen wollten, um sich zwischen den Bunkern fotografisch in Szene zu setzen. Beim Anblick des bärtigen Obdachlosen, der in einem dieser hauste, bekamen sie wohl Angst und marschierten im Laufschritt zurück zum Parkplatz. Gut, die 3 Bier und die Dose Sprotten, welche neben mir lagen, bedienten dann auch wirklich jegliches Klischee.

Viele Räder fahren ans Kap

Das Kap Kolka ist jene Landspitze, welche die Ostsee von der Rigaer Bucht trennt. Auf dem Weg dorthin begegnete ich vielen weiteren Radreisenden. Das ist in der Regel recht nett, weil man kurz anhalten kann, um sich zu unterhalten. Da entgegenkommende Radler meist genau dort herkommen, wo man selbst grade hin will, gibt man sich gegenseitig Tipps, was denn unterwegs grade lohnenswert ist oder wo der nächste Supermarkt zu finden ist.

Während ich in Polen und Weißrussland lediglich einen anderen Radreisenden getroffen habe, sind die Routen im Baltikum deutlich höher frequentiert. Natürlich mag dies auch an der Jahreszeit liegen, schließlich kann man ja nicht davon ausgehen, dass alle anderen Radler auch arbeitslos sind. Allerdings war das Aufkommen an Reiserädern auf der Halbinsel Kurland schon wirklich groß. So stieg man meist nicht einmal mehr vom Rad, um sich zu unterhalten, sondern grüßte lediglich lässig beim Vorbeifahren.

Wirkliche Langstreckenradler traf ich allerdings kaum. Meist merke man schon, dass die Leute deutlich kürzer aber mit einem wesentlich höherem Budget als ich unterwegs waren. Ein gutes Beispiel hierfür ist die Begegnung mit zwei älteren Radreisenden, welche mich nach einem Supermarkt zum Wasser holen fragten. Als ich erwiderte, dass die nächste Einkaufsmöglichkeit in etwa 5 Kilometern kommt, es aber nur hundert Meter weiter am Strand eine Fußdusche gibt, an der man sehr gut seine Flaschen auffüllen kann, wurde ich nur müde belächelt. Naja, es hat ja jeder so seinen eigenen Reisestil.

Das Kap Kolka selbst ist sicherlich nichts außergewöhnliches. Zwar kann man dort beobachten, wie die Wellen aus der Ostsee kommend mit denen aus der Rigaer Bucht zusammentreffen, aber dieses Phänomen lässt sich in anderen Teilen der Welt deutlich spektakulärer erleben. Allerdings ist der Weg dorthin sehr schön. Die Landstraßen sind zwar relativ eintönig, aber auch wenig befahren und entlang der Küste gibt es viele kleine Orte und einsame Strände zu entdecken.

Als ich kurz nach dem Passieren des Kaps mal wieder meine dürftige Körperhygiene mit einem Bad in der Ostsee aufbessern wollte, zog es mir plötzlich alles zusammen. Das Wasser war hundekalt. Das ist echt komisch, da ich eigentlich jeden Morgen ohne Probleme in die Ostsee sprang. Ein Ortsansässiger erklärte mir daraufhin, dass dies im nordwestlichen Teil der Rigaer Bucht völlig normal ist und das Wasser an einem anderen Strand, 30 Kilometer weiter weg, schon 8 Grad wärmer sein kann.

Auf nach Riga

Am Tag, bevor mein Kumpel Clemens nach Riga kam, war ich auf der Suche nach einem Nachtlager, das nicht zu weit von der Stadt entfernt ist. Dieses mal sollte ausnahmsweise ein offizieller Campingplatz angesteuert werden, da für abends Gewitter angesagt waren und ich zumindest eine Möglichkeit zum Unterstellen in der Nähe haben wollte.

Das Problem war nur, dass die Preise für eine Nacht im Zelt wirklich unverschämt hoch waren. Als ich am Strand saß und mich bereits mit dem Gedanken anfreundete, in einer Bushaltestelle zu pennen, fragte mich ein Jogger nach Wasser. Wie ihr euch denken könnt, führte eins zum anderen und ich konnte mal wieder kostenlos übernachten. Allerdings blieb es nicht dabei. Mein Gastgeber Alex kredenzte sogar noch ein paar Schaschliks zum Abendessen und vor dem Gewitter war ich in der Sauna seiner Oma, welche mir als Unterkunft diente, auch sicher.

Alex ist grade mal 20 Jahre alt und dazu auch noch leicht verrückt. So zog er es vor, das stärkste Gewitter, dass ich seit langem gesehen hatte, nicht etwa von der Veranda aus zu beobachten, sondern lieber durch den Wald ans Meer zu laufen, um der Natur so nahe wie möglich zu sein. Das käme für mich nie in Frage. Ich habe weder vor Bären, Wölfen oder sonst irgendwelchen wilden Tieren Angst, wenn ich irgendwo im Wald übernachte, aber Gewitter sind gewissermaßen mein Kryptonit. Die hasse ich schon, seit ich ein kleines Kind war, obwohl ich natürlich weiß, dass die Gefahr in der Natur vom Blitz getroffen zu werden, äußerst gering ist, wenn man sich richtig verhält. Auch Alex hat das Unwetter überlebt.

Am nächsten Morgen ging es dann nach Riga, wo ich Clemens am Bahnhof abholte. Nachdem wir ein paar Meter durch die leider völlig überfüllte Altstadt tingelten, ließen wir uns in einer Kneipe nieder und warteten darauf, dass Janeks, unser Gastgeber für die nächsten 4 Tage, Feierabend hatte.

Zu Besuch in einer litauischen Burschenschaft

Während ich noch berechtigte Vorbehalte hatte, mit TomEx in Vilnius eine Übernachtung über Couchsurfing zu organisieren, gab es da bei Clemens keinerlei Bedenken, da ich ihn auch schon seit meiner Grundschulzeit kenne. Er ist von uns beiden nämlich sicherlich der Vernünftigere.

Janeks holte uns in der Innenstadt ab und wir traten gemeinsam den Weg in seine Wohnung an. Wir fanden sofort gute Gesprächsthemen und auch das ein oder andere Bier wurde geköpft. Bevor wir uns Richtung Innenstadt aufmachten, hielten wir an einem Gebäude, dass ich laut seinen Beschreibungen für einen Studentenclub, wie ich sie auch aus Deutschland kenne, hielt. Hier trafen wir einige von Janeks Kumpels und wurden auch sehr nett empfangen. Auf dem Weg zur Toilette wurde mir dann allerdings klar, dass das englische Wort „Corps“, mit dem er die Einrichtung zuvor beschrieb, nicht etwa den Namen dieses speziellen Studentenclubs darstellt, sondern lediglich ein anderer Begriff für die mir aus Deutschland bekannten Burschenschaften ist.

Erkennbar wurde dies an den Uniformen und Schwertern an der Wand der Haupthalle des Hauses, welche auch sonst ziemlich stark an einen Schützenverein erinnerte. Jetzt erklärte sich mir auch die gänzliche Abwesenheit des weiblichen Geschlechtes.

Ich war zunächst mal etwas schockiert. In so eine Einrichtung würde ich in Deutschland nie einen Fuß setzen, da diese Vereine ja oft rassistisch bzw. nationalistisch, immer aber sehr konservativ sind und damit in keinster Weise meinen politischen Idealen entsprechen, denn der einzige Staat, den ich verehre, ist und bleibt der Sozialstaat.

Auch hier wären wir wahrscheinlich nicht aufgedribbelt, hätten wir vorher gewusst, worum es sich handelt. Allerdings muss man sagen, dass die „Jungs“ (die meisten waren für Studenten schon ziemlich alt) sehr nett zu uns waren und sich die Gespräche eigentlich nicht um politische Themen gedreht haben. Von daher war alles halb so wild. Vielleicht sind diese Verbände ja auch nicht in den Maße politisch, wie man es aus Deutschland kennt. Das kann ich von einem Besuch dort natürlich nicht beurteilen.

Nachdem Janeks am nächsten Morgen zu einem zweitägigen Fußballturnier aufbrach und uns den Schlüssel für seine Bude da ließ, erkundeten wir auf eigene Faust die Stadt. Riga ist ja ganz nett, in meinen Augen aber auch nichts besonderes. Die Altstadt ist völlig von Touristen überlaufen und dementsprechend teuer. Wenn man diese aber nur wenige Meter verlässt, lassen sich durchaus günstige Restaurants und Kneipen finden. Ansonsten war die Zeit mit Clemens sehr schön, allerdings gibt es bei weitem nicht so viel zu berichten wie von meinem vorherigen Besuch, aber das ist ja nicht unbedingt negativ zu sehen.

Bevor es dann weiter Richtung Estland ging, stattete ich noch den Markthallen, welche sich in mehreren großen Zeppelinhangern befinden, einen Besuch ab. Hier sind die Preise richtig günstig und ich wurde mal wieder dazu verleitet, mehr einzukaufen, als meine Fahrradtaschen aufnehmen konnten. Während ich also so viel wie möglich vor Ort aufaß, verwickelte mich noch ein älterer Herr in ein Gespräch. Er ist 74, Reinigungskraft und sprach ein erstaunlich gutes Englisch. Da er mir beweisen musste, dass er auch ein sehr guter Fahrradfahrer ist, machte der alte Knabe auf seinem Bock erstmal einen Wheelie. Ich staunte nicht schlecht. Aus Solidarität unter Fahrradfahrern wollte er mich natürlich zu sich nach Hause einladen (was auch sonst?), aber ich musste ja leider weiter.

Nach einer Nacht in einem Nationalpark etwas außerhalb von Riga ging es also Richtung estnische Grenze. Auf dieser Strecke wurde dann auch der Straßenverkehr wieder deutlich schlimmer, den ich rund um das Kap Kolka noch so gelobt hatte.

Dieser Beitrag hat einen Kommentar

  1. Bu

    Besonders sichere Grüsse Willy! Ich hoffe Du hast noch mehr Geschichten im Gepäck dass es ein Buch füllt. Ich seh da Chancen. Prost und immer ne Sardinenbüchse als Reserve!

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