11.10.2020 – Kanadisches Thanksgiving (Edit: das Internet ist hier sehr langsam). Gestern hatten wir den ersten Schnee. Der Winter ist angekommen hier in der Cariboo-Region. Da wir die letzten warmen Wochenenden mit Wandern, Campen, Angeln und anderen Outdoor-Aktivitäten verbracht haben, wurde es jetzt höchste Zeit, ein wenig Feuerholz zu machen. Nun sitze ich in meinem Schaukelstuhl vor dem warmen Kamin und lasse die letzten Wochen Revue passieren. Was ihr jetzt lesen werdet, ist vielleicht keine kurzweilige Unterhaltung wie sonst. Es ist weitestgehend recht frustrierend. Aber am Ende gibt es noch eine positive Nachricht. Ich hoffe, es wird nicht zu qualvoll, aber genau das waren die ersten Tage in Vancouver für uns, eine Qual. Relativierend muss man natürlich sagen, dass es vielen Menschen weltweit, besonders in der jetzigen Situation, wesentlich schlechter geht als uns. Also ist das vielleicht auch etwas viel „Geheule“.
Die Qualen der kanadischen Bürokratie
Die Quarantäne nervte uns, wie sie wahrscheinlich grade Millionen anderer Menschen rund um den Globus nervt. Aber wir wussten ja, worauf wir uns einlassen. Und wir taten uns das schließlich freiwillig an. Die 5-tägige Fastenkur zu Beginn der Quarantäne drückte noch zusätzlich auf die Stimmung. Ich hatte, wie die meisten Leute die so etwas machen, nach zwei Tagen keinen Hunger mehr. Auf Caro traf das ganz und gar nicht zu. Trotzdem hat sie es durchgezogen. Chapeau!
Nach der Beendigung des Fastens bemerkten wir, neben anderen positiven Effekten auf unseren Körper, dass wir deutlich weniger Hunger hatten. Ich hatte zwar schon davon gehört, dass sich Leute Reste im Restaurant einpacken lassen, es aber immer für einen Mythos gehalten. Bis jetzt.
Als wir endlich wieder vor die Tür durften, verlangten unsere Beine nach Bewegung. Vancouver wollten wir so schnell wie möglich verlassen. Großstädte sind halt nicht so unser Ding. Deshalb hatten wir schon für den ersten Tag einige Termine gemacht, die wir alle zu Fuß erledigten. Unseren deutschen Führerschein mussten wir in einen kanadischen tauschen, ein Bankkonto eröffnen, eine Steuernummer beantragen und vieles mehr. So kamen bereits am ersten Tag ca. 20 Kilometer per pedes zusammen.
Am längsten dauerte dabei seltsamer Weise die Beantragung unserer Sim-Karte. Richmond, der Vorort Vancouvers, in dem wir lebten, wird zu einem großen Teil von chinesisch-stämmigen Menschen bewohnt. Mandarin und Englisch haben nun bekanntermaßen nicht viel mehr Gemeinsamkeiten als Pekingente und Ahornsirup. Ich denke, das ist einer der Gründe dafür, dass viele Chinesen, auch wenn sie hier schon länger leben, sehr wenig Englisch sprechen. Als wir endlich eine geöffnete Filiale eines kanadischen Mobilfunkanbieters in besagtem Stadtteil fanden, machten wir der einzigen Mitarbeiterin also klar, dass wir eine Prepaid-Sim wollen. Das verstand sie, konnte uns aber nicht erklären, warum dies so lange dauerte. Googel-Übersetzer spuckte dann die Worte „System Error“ aus. Wir waren ja nicht auf der Flucht und warteten also geduldig. Immerhin wurden wir währenddessen mit kalten Getränken verköstigt. Um euch nicht zu sehr zu quälen, kürze ich die Geschichte mal eben ab und springe vom Vor- in den späten Nachmittag. Der Shop hatte offiziell bereits geschlossen, doch wir saßen immer noch bzw. schon wieder dort. Die Telus-Mitarbeiterin hatte mittlerweile ihre Kollegin angerufen, welche als Übersetzerin fungierte. Diese schaltete dann noch den Kundendienst via Zweithandy ein, welches sie wohl mit dem angeschalteten Lautsprecher neben das erste legte. So war die chaotischste Telefonkonferenz meines bisherigen Lebens perfekt. Das Ende vom Lied: die SIM-Karte funktionierte, zumindest in Caros Handy und das erste Mal aufladen bezahlte die Shop-Mitarbeiterin zunächst von ihrer privaten Kreditkarte, weil eine ausländische nicht akzeptiert werden kann. Eigentlich wollten wir ja noch ein paar Tage auf Alkohol verzichten. Das hatte sich an diesem Abend selbstredend erledigt.
Allerdings waren wir mit der kanadischen Bürokratie noch nicht fertig, eben sowenig wie sie mit uns. Das Eröffnen eines Bankkontos nahm ebenfalls knappe zwei Stunden in Anspruch. Bei den verschiedenen Behörden dauerte es dann dank Terminen nicht ganz so lange.
Der Autokauf
Hätte man mir nach diesem Spießrutenlauf durch die kanadische Bürokratie gesagt, dass mir das schlimmste noch bevorstand… ich hätte mich auf mein Rad gesetzt und wäre einfach drauflos gefahren. Ohne Auto und ohne irgendetwas zu erledigen. Allerdings verlangt der neue Arbeitsplatz nun mal nach einem motorisierten Fortbewegungsmittel. 320 Kilometer (eine Strecke) zum Einkaufen strampel ich dann doch nicht einfach mal so ab. Temperaturen von bis zu -50°C würden dieses Unterfangen zusätzlich erschweren. Ein Auto musste also unbedingt her.
Wenn ich nur so etwas einfaches wie einen Pullover kaufe, kann der große den kleinen Zeiger auf der Uhr dabei schon ein paar Mal überrunden. Da werden Rezessionen und Blogeinträge gelesen, bis die Augen fast ausfallen. Natürlich vervielfacht sich der Rechercheaufwand beim Kauf eines Autos nochmal erheblich.
Erste Einschränkung: es musste ein Allradantrieb sein, denn ohne kommen wir im Winter kaum noch von unserer Unterkunft bis vor zum Highway.
Außerdem sollte es günstig sein, wenig Sprit verbrauchen und möglichst genug Platz bieten, um auch mal darin zu schlafen. Die berüchtigte eierlegende Wollmilchsau eben.
Zum ersten Auto mussten wir nicht weit fahren. Es kam zu uns. Nein, es handelte sich nicht um das „K.I.T.T.“ aus der Serie „Knight Rider“. Da muss ich euch leider enttäuschen. Stattdessen fuhr ein 19-jähriger Backpacker vor, der uns seinen Honda CRV verkaufen wollte. Dieser gilt als einer der zuverlässigsten SUV’s überhaupt. Wie ihr gleich lesen werdet, muss das allerdings nichts heißen.
Das Auto gefiel uns gut und wurde auch mit etwas kostenlosem Campingequipment angeboten. Allerdings schreckten uns die 320.000 Kilometer, die es auf dem Buckel hatte, etwas ab. Also vereinbarten wir für den nächsten Tag zwei Besichtigungstermine für das gleiche Model mit ein paar Metern weniger auf dem Tacho.
Der größte Umschlagplatz für Gebrauchtwagen in Vancouver befindet sich im Vorort Surrey, genauer gesagt, entlang des King George Boulevard. Als wir hier ankamen, waren wir zunächst einmal etwas schockiert. Waren wir wirklich noch in Kanada? Hier gab es ganze Obdachlosen-Siedlungen mitten am Straßenrand. Auf den wenigen Grünflächen sprossen Spritzen wie andernorts Gänseblümchen aus dem Boden. Das war wirklich erschreckend, vielleicht auch, weil man es in einem Land wie Kanada nicht erwartet. Naja, ich hab ja auch 5 Monate Südafrika überlebt. Da schaff ich hier auch den Autokauf.
Der erste Honda machte bereits bei der Probefahrt einen merkwürdigen Eindruck. Auch die gelbe Motorkontrollleuchte trug nicht grade zu einem positivem Gesamteindruck bei, obwohl der Verkäufer versicherte, dass da nur ein Ventil getauscht werden muss und er das gleich bestellen könnte. Spätestens als wir bemerkten, dass der Kilometerzähler Meilen anstatt der online inserierten Kilometer anzeigte, verabschiedeten wir uns von dem Gedanken, die Kiste zu kaufen.
Der Automarkt hier in Surrey ist fest in indischer Hand. So hat auch die Firma „MS Motors“, bei der wir schließlich fündig werden sollten, ausschließlich indische Mitarbeiter. Ein großer Vorteil dabei ist, dass man leckeres indisches Essen bekommt, während man wartet. Und warten mussten wir in den nächsten Tagen hier oft.
Nachdem wir den nächsten CRV zu einer Probefahrt „entführten“, wurden kleinere Mängel gleich ausgebessert, bevor wir uns auf einen Preis von 4300 kanadische Dollar inkl. Steuern und Gebühren einigten. Soweit so gut. Bereits auf der Heimfahrt begannen jedoch die Probleme. Ab einer Geschwindigkeit von ca. 90 km/h fing die Karre an zu vibrieren. Als wir dann in unserer neuen Stammkneipe dafür sorgten, dass das Auto zukünftig nicht quietschen sollte (das tat es als einziges nicht), ergab eine schnelle Recherche, dass wohl einfach die Reifen ausgewuchtet werden müssen. Also legten wir am nächsten Tag nochmal einen Stopp bei unserem Verkäufer ein, der sich vielmals entschuldigte und gleich bei seiner Werkstatt anrief, damit wir uns noch am Nachmittag auf den Weg machen konnten.
Freunde auf der ganzen Welt
Als das erledigt war, hielten wir nochmal kurz bei meinem Kumpel Adam, einem Kanadier, den ich aus meiner Zeit in Südafrika kannte. Früher selbst im Autogeschäft tätig, wechselte er die Branche, als in Kanada Cannabis legalisiert wurde. Seitdem ist der Gute Gärtner. Natürlich bekommt man bei so einem Job auch etwas Deputat, womit ich dann großzügig beschenkt wurde. Caro prophezeite mir daraufhin eine ähnliche Zukunft wie den Typen, die in Surrey auf der Straße rumlungerten. Naja, wir werden sehen.
Auto Nummer 1 – ein kurzes Vergnügen
Als wir bei Adam losfuhren, waren wir bereits weit hinter unserem Zeitplan, aber immer noch hoffnungsfroh, zumindest einen Teil der Strecke nach Anahim Lake zu schaffen. Kurz bevor wir durch das Örtchen Hope kamen, sprang dann aber die Motorkontrollleuchte auf gelb. Also erstmal ein Restaurant mit WLAN angesteuert und recherchiert. Ein bisschen Öl nachgekippt und die Funzel ging erst mal wieder aus. Also weiterfahren. 1-2 Stunden später, es war bereits stockdunkel, sprang besagtes Lämpchen wieder an. Allerdings jetzt mit der unangenehmen Begleiterscheinung, dass die Karre am Berg anfing zu ruckeln und fast stehen blieb. Berge sind in dieser Gegend Kanadas aber leider sehr oft zu finden. Glücklicherweise ergab eine weitere kurze Recherche, dass eine Tankstelle in der Nähe ist. Diese war zwar leider geschlossen, wir konnten aber zumindest auf dem Parkplatz stehenbleiben und ein paar Stunden die Augenlider von innen betrachten.
Am nächsten Tag schleppten wir uns dann noch in eine Werkstatt, die ebenfalls nur ein paar Kilometer entfernt war. Hier in der Pampa nimmt man es mit den Öffnungszeiten wohl nicht so genau, was zur Folge hatte, dass wir den Werkstattinhaber mit unserem Anruf weckten, obwohl er eigentlich schon eine halbe Stunde am Schrauben gewesen sein müsste. Der nahm sich Zeit, den Fehler auszulesen. Der Code ergab „VTEC-System-Error“. Würde jetzt zu weit gehen, das zu erklären, ist aber ein bekanntes Problem bei diesem Auto. Der Dorfmechaniker machte einen ganz sympathischen Eindruck, schimpfte aber auch sehr über unsere „Schrottkarre“. Nicht zuletzt verlieh er seinem Ärger Ausdruck, indem er unseren Verkäufer anrief, um ihn erst einmal zu beleidigen. Er prophezeite weiterhin, dass wir trotz Garantie kein Geld zurückbekommen würden, weil in Vancouver nur Verbrecher arbeiten.
Der zweite Versuch
Mit dem ausgelesenen Fehler fuhren wir also zurück Richtung Vancouver. Bevor wir dem Händler aber das Auto um die Ohren hauen würden, wollten wir uns eine zweite Meinung einholen. Auf halber Strecke gab es einen Honda-Händler. Dieser konnte allerdings nichts für uns tun. Der Fehler war schließlich ausgelesen. Sie legten uns nahe, es nochmal zu versuchen. Vielleicht ist ja jetzt alles okay? Natürlich war es das nicht!
Wir kamen vielleicht 20 Kilometer weiter als das letzte Mal, dann blinkte die Leuchte wieder auf. Kurz darauf begann das Ruckeln. Jetzt ging kaum noch etwas. Mist. Für einen Abschleppservice hier draußen hätte wir ein viertel des Wertes unseres Vehikels löhnen dürfen. Dann doch lieber ganz langsam zurück nach Vancouver ruckeln. Dort angekommen, erwartete uns der Chef von MS Motors bereits. Er zeigte uns, wo wir das Auto abstellen konnten und auch das Auto, was er uns als Alternative anbieten könnte. Allerdings war das kein Thema für diesen Abend mehr. Wir wollten einfach nur etwas essen und ins Bett. „Habt ihr schon einen Schlafplatz?“, fragte uns der Verkäufer des Problem-Fahrzeugs. Als wir verneinten, buchte er uns kurzerhand ein Hotelzimmer für zwei Nächte in der Nachbarschaft. Darüber hinaus ließ er es sich nicht nehmen, uns leckere indische Pizza und Bier in die Unterkunft zu liefern. Man merkte, dass es ihm äußerst peinlich war, dass wir solche Probleme mit dem von ihm verkauften Auto hatten.
Am nächsten Morgen begann dann ein Verhandlungsmarathon. Als Alternative zu einer langwierigen Autoreparatur bot man uns einen Chevrolet Equinox (nein, nicht das Teil auf dem Titelbild) an. Etwas größer als der Honda und mit zwei Zylindern mehr auch ganz gut motorisiert und noch dazu weniger als halb so viele Kilometer auf dem Tacho. Allerdings wollten sie noch 2800 Dollar extra. „Nich mit mich“! Durch die unzähligen Behördengänge der letzten Wochen und die Quarantäne war ich sehr geduldig und verhandelte den ganzen Tag mit unseren immer noch sehr sympathischen Verkäufern. Ein paar Dosen Cola, ein indisches Mittagessen und den Versprechungen, dass sie dank uns einen riesigen Verlust einfahren würden, bekamen wir den Chevy für eine Extrazahlung von 1900 CAD. Das ist zwar deutlich mehr, als wir ursprünglich ausgeben wollten, aber für ein vergleichbaren Wagen sehr günstig.
Am nächsten Tag legten wir dann ohne Probleme die 850 Kilometer zu unserem neuen Arbeitsplatz zurück.
Gute Nachrichten zum Schluss
So, du hast dich hier durch gequält? Chapeau! Oder vielleicht hast du die kleine graue Leiste am Browser ganz schnell nach unten bewegt, weil du ein Fuchs bist? Auch okay.
Die versprochene gute Nachricht zum Ende… Als ich im Juli meinen allerersten Reisevortrag gehalten habe, sammelte ich dabei Spenden für eine gemeinnützige Fahrradwerkstatt in Minsk. Wenn man nicht absolut hinterm Mond lebt, sollte man allerdings mitbekommen haben, was in Belarus derzeit los ist. Geld überweisen ist schwierig geworden. Die Verantwortlichen der Werkstatt haben uns daher gebeten, das Geld statt an sie lieber an die weißrussische Demokratiebewegung zu spenden. Euer Geld ist also gut angelegt. Wer darüber hinaus noch einen Groschen drüber hat, kann diese Bewegung gern unterstützen. Ich hoffe, dieses wundervolle Land holt sich die Demokratie, die es verdient!
Sehr schön geschrieben. Wir drücken die Daumen, dass das Auto nun hält und die Bürokratie nun ein Ende gefunden hat.
Ganz liebe Grüße ins winterliche Kanada,
Hannes und Franzi
Moin Willy,
es hätte mich schon sehr interessiert euch in dem Smart aus dem Hintergrund vom Hof fahren zu sehen!!
Mal wieder sehr schön geschrieben. Vielen Dank fürs Mitnehmen auf deine/eure Abenteuer! Was mich zu ein paar Fragen bezüglich des Bloggen führt, vielleicht können wir uns mal per Mail austauschen?
Falls du beim Namen nicht direkt wissend vor deinem Klapprechner sitzt -> ich bin ein Ausbildungskollege von Clemens W., durch welchen wir uns auch mal kurz kennen gelernt hatten. Wie auch immer, melde dich gern mal.
Anbei ein Gedicht, an welches ich durch eure Geschichte erinnert wurde. Auf dass es euch entzückt und die Lachmuskeln euch an kalten Wintertagen etwas Wärme spenden.
Zwischen Stühlen und Seitenspiegeln (N.51)
Ein Gedicht von Jacob Seywald Anfangs mehr ein Müßiggang mit Drang und Zwang, mehr ein Fehlversuch mit viel Versuch. Viel mehr war’s ein Ort der Meidung, als einer der eigenen Entscheidung.
Hoffnung und Gleichmut war kaum da, war nicht mal gut. Zuversicht und Gelassenheit, es ist der selbe Mut, doch nicht unter meinem und einem Hut.
Zwischen Stühlen stand ich nun, was soll ich tun? Mit ihr war’s leichter mit ihr wurd’s heiter. Mach ich jetzt nicht noch weitere, werd‘ ich mich hassen wenn ich scheitere.
Die Zeit verging, der Raum wurd‘ mein und schaffte es, für mich allein. Ein Licht trat an, ein helles Blitzen, zwischen Seitenspiegeln darf ich jetzt sitzen.
Jacob Seywald XIII
So, dann beste Grüße und einen schönen Winter euch!
Pingback: Lachse und Milliardäre -