You are currently viewing Verhaftet in Minsk
Kurz mal verhaftet ;)

Verhaftet in Minsk

Von Baranovichi radelte ich also weiter in die weißrussische Hauptstadt Minsk. Nach einer Nacht an der Memel startete ich bereits sehr früh am Morgen und fuhr den direktesten Weg – über den Standstreifen einer Autobahn, um rechtzeitig bei meinen Gastgebern Christina und Styopa zu erscheinen. Woher ich die nun schon wieder kenne, könnt ihr auch hier nochmal nachlesen.

Ein erstes Kennenlernen

Nachdem sie mir kurz alles zeigten und ein paar Pelmeni kredenzten, mussten die beiden bereits los, um eine Geburtstagsparty zu besuchen. Also übergaben sie mich in die Hände ihrer Freundin Hanna, welche mir am Abend die wichtigsten Sehenswürdigkeiten bzw. Kneipen der Stadt zeigte. Dabei stellte ich fest, dass Minsk wesentlich grüner ist, als ich erwartet hatte. Viele Parks gibt es auch.

Hanna arbeitet als Journalistin und war dabei schon für verschiedene regierungskritische Organisationen tätig. Dass das in Weißrussland kein Zuckerschlecken ist, versteht sich ja von selbst. Aber trotzdem waren einige ihrer Geschichten sehr schockierend. Im Laufe der Woche lernte ich sogar selbst jemanden kennen, der bereits einmal 8 Jahre wegen einer kleinen Menge Drogen gesessen hat. Allerdings können die Weißrussen trotzdem noch über ihren Präsidenten lachen, wenn beim Eishockey der Torwart zur Seite springt, damit der den Puck einschieben kann oder sie sich den Allerwertesten mit einer Seife waschen, die seinem Gesicht nachempfunden ist. Also ich will ja Angela Merkel nicht unter der Dusche begegnen, aber das ist sicher Geschmackssache.

Die nächsten Tage

In Minsk wollte ich eigentlich maximal 3 Nächte bleiben. Am Ende waren es 9! Aber es war auch einfach zu schön hier. Christina, Styopa und Hanna kümmerten sich sehr gut um mich. Wir besuchten diverse Kneipen, fuhren zum Angeln und Grillen an den See Minskja Mora (z. Dt.: Minsker Meer), standen auf der Gästeliste bei einem Konzert und schliefen meist bis Mittag oder auch darüber hinaus. Es war eine entspannte Zeit.

Ich lernte auch viele weitere Freunde der drei kennen. So zum Beispiel Julia und Dima, die mir einige Tipps für meine weitere Reise geben konnten oder Sascha, der darauf bestand, mit uns eine Flasche Selbstgebrannten zu trinken und mich anschließend noch zum Klebstoff schnüffeln einzuladen. Letzteres lehnte ich dankend ab.

Den weißrussischen „Moonshine“ kredenzte Sascha übrigens in einer Lokalität Namens „Centralny“. Wenn ihr mal in Minsk seid, solltet ihr hier unbedingt vorbeischauen. „Kneipe“ würde ich dazu jetzt nicht sagen. Vielleicht trifft es der Begriff „Trinkhalle“ eher. Zu Stalins Zeiten war hier wohl ein Supermarkt beheimatet. Heute gibt es zwar noch immer Fleischer-, Bäcker- und andere Essensstände, ergänzend hinzu kommen aber noch diverse Zapfhähne, an denen der halbe Liter für umgerechnet einen Euro zu haben ist. Das ist in etwa die Hälfte von dem, was es sonst in der Stadt kostet. Allerdings holt sich hier nicht nur der Punk, der Arbeiter oder der verlauste Radreisende sein Bier, sondern auch der Banker oder Anwalt. Hier treffen sich wirklich alle Gesellschaftsschichten. Vielleicht ist es das, was mich an diesem Ort so faszinierte.

Tuneyadets Belarus

Als wir Styopa eines Morgens zum Bahnhof brachten um ihm dabei zu helfen, Pflanzen in den Zug zu tragen, die er seiner Oma bringen sollte, waren wir wie immer spät dran. In der Hektik vergaß er dann, uns den Schlüssel für die Wohnung zu übergeben. Daraufhin waren wir bis abends ausgesperrt. Naja, ich wollte mir sowieso mal ein drittes T-Shirt zulegen, also ging es ab auf Shoppingtour. Nach langer ergebnisloser Suche stach Christina dann eines mit der Aufschrift „Tuneyadets Belarus“ ins Auge. „Das bedeutet so viel wie „weißrussischer Parasit“, erklärte sie mir. Mein Interesse war geweckt! Konkret geht es darum, dass es in Weißrussland das sogenannte „Parasitengesetz“ gibt. Dies bedeutet, dass Leute, die nicht offiziell arbeiten (Parasiten) eine Strafe an den Staat zahlen müssen. Auch hier zeigt sich wieder der humorvolle Umgang mit solch krassen Geschichten. Es versteht sich natürlich von selbst, dass ich das haben musste!

Das Ironische an diesem Gesetz ist ja auch noch, dass richtige Parasiten eigentlich überhaupt nicht existieren. Da es hier Arbeitslosengeld nur in wenigen Fällen gibt, müssen die meisten Menschen schon irgendetwas tun, um nicht zu verhungern. Leute, die wirklich offiziell arbeiten, habe ich aber kaum kennengelernt. Die meisten meiner Freunde hier besitzen nicht einmal ein Bankkonto und werden für ihre Arbeit bar bezahlt. Das liegt zum einen daran, dass sie keinen Bock auf geregelte Arbeitszeiten haben, sondern selbst bestimmen wollen, wann sie arbeiten. Zum anderen stellen manche Leute auch selbst Dinge her und verkaufen sie dann online, sparen sich aber die Anmeldung eines Gewerbes. Hier nenne ich aber keine konkreten Beispiele, nicht das Lukashenko bei seinem morgendlichen Toilettengang doch mal zufällig meinen Blog liest.

Überraschung

Möglich ist das Leben mit einem eher geringen Einkommen aber auch dadurch, dass viele jüngere Tuneyadets mit ihren Eltern und/oder Großeltern zusammen wohnen. Bei meinen Gastgebern verhielt es sich so, dass die Babuschka teilweise auf dem Land lebt und im Sommer eher selten nach Minsk pilgert.

Als wir eines Abends aus der Stadt kamen, gab es allerdings einen dieser seltenen Besuche. Problem dabei war nur, dass die Küche nach dem letzten Kochgelage noch katastrophal aussah. Ich packte innerlich schon meine Sachen, aber Styopas Oma sah das sehr entspannt und ich konnte bleiben. Sie freute sich übrigens auch über das oben erwähnte T-Shirt.

Meine Verhaftung

Eigentlich wollten wir das mit der Registrierung, die vorgenommen werden muss, wenn man sich mehr als 5 Tage im Land aufhält, schon vor meiner Einreise klären. Aber in unserer Minsker Gang ist einer so verpeilt, wie der andere aussieht. Also gingen wir mal davon aus, dass es schon reichen würde, wenn ich mich einmal am Anfang meines Aufenthaltes in einem Hotel anmelde und gut. Wie wir aber zufällig am Donnerstag erfuhren, reicht das natürlich nicht. Man muss sich aller 5 Tage neu registrieren, nachdem man ein Hotel verlassen hat.

Blöd, denn bei einer fehlerhaften Registrierung können Strafen von mehreren hundert Euro drohen! Diese sind sowohl von Gast als auch von Gastgeber zu tragen. Das wollten wir auf jeden Fall verhindern. Also überlegten wir uns eine gute Geschichte und schlenderten voller Reue zur Migrationsbehörde. Hanna begleitete uns, da sie mit Behörden schon so ihre Erfahrungen hat und auch die komplizierteren Sachen ins Englische übersetzen kann.

Bei einer weißrussischen Migrationsbehörde, welche hier der Miliz untergeordnet ist, erwarte ich eigentlich mindestens einen Gunery Seargeant Hartman aus dem Film „Full Metal Jacket“ vor mir sitzen zu sehen. Stattdessen saßen da zwei Beamtinnen, die einem sonst nur in Filmen mit pornographischem Inhalt begegnen. Fragen, ob ich ein Foto machen darf, wollte ich trotzdem nicht.

Nachdem meine Freunde die Situation erklärt hatten, eröffneten die beidem Damen uns, dass wir nur die Minimalstrafe zahlen müssten. Diese belief sich auf umgerechnet etwa 33 Euro für mich und 25 Euro für Styopa. Ich musste sofort zahlen. Er hat einen Monat Zeit, wird das Geld aber nicht bezahlen, da er der Meinung ist, dass das schon irgendwann vergessen wird. Ich wollte seine Strafe sogar mit bezahlen, aber er ist sich seiner Sache wohl sehr sicher.

Übrigens taten die beiden Polizistinnen auch nur so, als ob sie kein Englisch sprechen. Als ich nämlich unter anderem nach der Anzahl meiner Kinder befragt wurde und Hanna für mich übersetzte, antwortete ich wie üblich mit: „Keine, von denen ich wüsste.“ Da konnten sich auch die sonst sehr streng guckenden Damen das Lächeln nicht mehr verkneifen. Vieleicht mussten die beiden diese Fassade allerdings auch aufrecht erhalten, da ihr Raum, wie wahrscheinlich die meisten dort, per Video überwacht wurde. Naja, wir waren glücklich darüber, dass die Sache so glimpflich für uns ausging.

Was hat das jetzt mit einer Verhaftung zu tun? Ganz einfach! Am Ende der ganzen Prozedur musste ich noch ein Protokoll unterschreiben, in dem festgehalten wurde, dass ich mich schuldig bekenne und für die Zeit der Anhörung inhaftiert war. Gut, in der letzten Diktatur Europas hätte ich mir meine Knastzeit schlimmer vorgestellt.

Bike Kitchen Minsk

Da mein Körper bekanntlich eine hohe Dichte hat und die Straßenverhältnisse auf meiner Reise auch sehr stark variieren, kommt es hin und wieder mal vor, dass eines meiner Laufräder etwas in Unwucht gerät. Um diesen Zustand selbstständig beheben zu können, kann es nicht schaden, die Speichen einstellen zu können. Meine ersten Versuche sind allerdings kläglich gescheitert. Deshalb war es nun an der Zeit, mir Hilfe zu holen. Zum Glück hatte die Minsk Bike Kitchen (eine Open-Source-Werkstatt, hier gibt es kostenlos Werkzeug und Hilfe bei der Fahrradreparatur) in dieser Woche eine „English Speaking Garage“. Also bin ich da hin und habe mir das Prinzip dieser Reparatur erklären lassen. Nun bin ich als Handwerker zwar weiterhin nur so gut zu gebrauchen wie ein Hippie zum Panzerfahren, allerdings klappt es jetzt schon wesentlich besser als vorher.

Generell kann ich einen Besuch in dieser Einrichtung jedem empfehlen! Die Leute sind super nett und selbst, wenn ihr euer Velo im Schlaf auseinander- und wieder zusammenbauen könnt, erfahrt ihr hier viel Wissenswertes über das Fahrradfahren in Weißrussland und über besuchenswerte Orte im ganzen Land.

Abschied

Am Samstag fand die 5. „Viva Rowar“ statt. Hier handelt es sich um eine Art Karneval für Fahrräder. Dabei geht es neben dem Spaß an der Freude auch darum, Aufmerksamkeit für Fahrradfahrer in Minsk zu generieren. Diese haben nämlich kein einfaches Leben, wie ich feststellen musste, denn in der Stadt darf man als Radfahrer die Straßen nicht benutzen. Davon wusste ich natürlich nichts, als ich das erste Mal ins Zentrum fuhr. Die erste Oma, welche mir vom Beifahrersitz aus die Faust zeigte, bekam also auch gleich eine unschöne Geste als Antwort. Als sich dann immer mehr Leute beschwerten und wie verrückt hupten wusste ich, dass irgendetwas nicht stimmen kann. Wie ich später erfuhr, sollen Radfahrer in Minsk entweder den einzigen wirklich vorhandenen Radweg (immer am Fluss entlang) nutzen oder auf den, teilweise sehr verstopften oder unterbrochenen, Gehwegen fahren. Großes Kino.

Die Viva Rowar war schon sehr beeindruckend. 25.000 Fahrräder hintereinander siehste halt nicht jeden Tag.

So richtig genießen konnte ich die ganze Veranstaltung aufgrund des Abstiegs von Energie Cottbus am selben Nachmittag jedoch nicht. Zum Glück überstand mein Outdoor-Handy den Wurf gegen den Baumstamm.

Zum Abschied versammelten sich am Abend nochmal alle in unserer (ihr merkt, ich fühlte mich wie zu Hause) Wohnung. Durch meine neuen Freunde und eine nicht geringfügige Menge an Kaltgetränken konnte der Abstieg dann doch ganz gut überwunden werden. Nur mit dem Weiterfahren am nächsten Tag klappte es so mittelmäßig. Und da Hanna auch noch ein Interview mit mir führen wollte, verschob sich meine Abreise nochmal um einen Tag. Schon verrückt – da erscheint das erste Interview, das ich jemals gegeben habe, in einer mir fremden Sprache. Wobei das ja auch nicht so ganz stimmt. Ein paar Worte auf Russisch bzw. Weißrussisch(*) habe ich mittlerweile auch schon gelernt.
Hier mein kleines Wörterbuch:

  • zakuska = Snack zum Bier

  • na ostanovke = die nächste (Station)

  • tuneyadets = Leute wie ich

  • shary bary* = Prost (Slang, nur von ein paar Leuten benutzt)

  • samagon = Selbstgebrannter

  • bud strov = Prost/Gesundheit

  • za je pis! = fucking great!

  • otschen‘ nada kaka = ich muss dringend kacken

  • isvini = Entschuldigung

  • dziakuj* = Danke

  • kali laska* = Bitte

Dieser Beitrag hat 3 Kommentare

  1. Susi

    Herrlich Willy😂halte uns bitte weiterhin auf dem laufenden…es macht richtig Spaß deinen Blog zu lesen…du musst nach deiner Reise unbedingt nen Buch veröffentlichen, ich würde es sofort kaufen😜
    Ich wünsche dir weiterhin ganz viel Freude! Lg

  2. Heister

    Hi Willy. Habe deine Reportage mit Genuss gelesen. Bei Wörterbuch angekommen konnte ich mich vor Lachanfall nicht mehr retten. Alles drin: Schimpfwort, Alkohol, Entschuldigung… Bin gespannt auf deine weiteren Bilder und Geschichten.

Schreibe einen Kommentar