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Ein paar fantastische Tage mit Manuel und Matias.

Bewegende Geschichten und aufgeschlossene Menschen – mit dem Fahrrad durch Kolumbien

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In Medellin angekommen, hatten wir uns für einige Tage ein Apartment gemietet. Das war zum Glück wieder etwas günstiger als in Panama und so problemlos möglich. Die Stadt gefiel uns auf Anhieb. Alles war sehr grün. Vor allem aber sah man viele Fahrräder, was in Zentralamerika eher nicht der Fall war. Ein Grund dafür könnte die gute Fahrradinfrastruktur sein. Ein so gutes Netz von Radwegen, wie wir es in Medellin und auch in anderen Teilen des Landes gesehen haben, lässt Kolumbien geradezu wie die Niederlande Lateinamerikas wirken. Na gut, zugegebenermaßen gibt es ein paar mehr Berge.

Ferdinando, ein Radfahrer den wir hier trafen, zeigte uns seine Stadt.


Medellin – eine Stadt mit bewegender Geschichte


Medellin war genau zwischen eben solche gebaut. Während der Stadtkern auf ca. 1500 Metern liegt, befinden sich die Vororte deutlich höher am Hang gelegen. Den Grund dafür erfährt man bei einer Führung in der bekannten “Communa 13”. Einst eines der gefährlichsten Viertel der Stadt, regiert von Drogenbossen wie Pablo Escobar, Guerillas oder von der Regierung unterstützte Paramilitärs, die hiesige Bevölkerung hat einiges durchmachen müssen. Ein Übel hat quasi das nächste abgelöst.

Seilbahnen und Rolltreppen machen die „Communa 13“ heute wesentlich bequemer erreichbar.


Ursprünglich siedelten sich hier Menschen aus ländlichen Regionen mit ihren Familien an, die von den jeweiligen Gruppen aus ihrer Heimat vertrieben wurden, wenn sie nicht selbst zur Waffe greifen wollten. Im Stadtzentrum waren sie nicht gewollt und so begannen sie aus Mangel an Alternativen an den extrem steilen Hängen, die Medellin umgeben, illegal zu bauen und tun dies bis heute. Allerdings hatten die Vertriebenen nicht lange ihre Ruhe. Als der Bürgerkrieg nach Medellin kam, wurden die Siedlungen auf Grund ihrer strategischen Lage für Guerillas und Kartelle wieder interessant und durch diese beherrscht. Die Regierung und die Paramilitärs nahmen diese daraufhin dann, teilweise sogar mit Panzern, unter Beschuss. Besonders perfide war dabei das Vorgehen gegen die Guerillas. Menschen aus den jeweiligen Vierteln wurden angeworben, um Mitglieder der kommunistischen Gruppen zu benennen, die dann meist an Ort und Stelle erschossen wurden. Pro Kopf gab es dann eine Prämie. Das führte dazu, dass einfach wild auf alle gezeigt wurde, die sich gerade auf der Straße aufhielten. So starben vermutlich wesentlich mehr Zivilisten als eigentliche Guerilla Kämpfer. Als dann die Paramilitärs die Kommunen übernommen haben, verbesserte sich das Leben der örtlichen Bevölkerung zunächst nicht.

Vom gefährlichsten Viertel der Stadt zum Touristenmagneten


Die Gangs, die heute das Sagen haben, haben jedoch den Tourismus für sich erkannt. Kaum zu glauben, aber dieser geschichtsträchtige Ort ist heute die meistbesuchte Touristenattraktion des Landes. Die Bevölkerung scheint davon zu profitieren. Hunderte Guides führen in Kleingruppen durch die Stadt und erzählen Touristen die Geschichte der Gegend und auch ihre eigene, denn nur, wer hier lebt, darf auch dieser Beschäftigung nachgehen. Die Regeln hier werden immer noch von den vorherrschenden Banden gemacht. Darüber erzählt uns Diego, unser Guide auch ganz offen.

Die malen sogar Miausers hier!


Neben den Guides gibt es unzählige Breakdance-Gruppen, die nach ihren sehr eindrucksvollen Darbietungen reichlich Trinkgeld einstreichen, Straßenstände, die neben Bier und Snacks auch ganz offen Gras und wahrscheinlich auch andere Sachen anbieten, Kunstgalerien und Souvenirshops. Letztere verkaufen vor allem T-Shirts mit dem Konterfei Pablo Escobars. Wenn Einheimische damit herumlaufen, maße ich mir nicht an, darüber zu urteilen. Aber wenn amerikanische oder europäische Touristen den ehemaligen Drogenbaron auf ihren Bierbäuchen spazieren tragen, ist das zumindest mal albern, wenn nicht sogar ziemlich respektlos. Schließlich hat er neben einer coolen Netflix-Serie auch eine Menge Leichen hinterlassen. Wie schon in Mexiko, lernten wir auch in Kolumbien viele Menschen kennen, die Freunde und Familie im Drogenkrieg verloren haben.

He´s a simple man.


Neben der bewegenden Geschichte ist Medellin, das den Beinamen „Ciudad de la eterna primavera“ (Stadt des ewigen Frühlings) trägt, auch sehr schön und lebhaft. Es gibt viel Musik, auf der Straße ist immer was los, Fahrrad fahren geht auf Grund der Infrastruktur super und es gibt unzählige Parks und Grünflächen. Außerdem konnten wir ein Fußballspiel von Idepediente besuchen. Nun, bisher habe ich in jedem Land meiner Reise ein Spiel besucht. Aber das war hier das absolute Highlight bisher. Sowohl fußballerisch, als auch von der Atmosphäre, her stellte die Partie gegen die Millionarios aus Bogota ein Highlight unseres Besuchs in der Andenmetropole dar.


La Casa del Ciclista

Nach einigen lehrreichen und unterhaltsamen Tagen in Medellin machten wir uns auf zum hiesigen “Casa del Ciclista”. Dieses Konzept findet man vereinzelt schon in Mexiko, besonders häufig aber in Südamerika. Meist von Besitzern eines Fahrradladens in ihrem Privathaus gegründet, finden hier Radreisende aus aller Welt Zuflucht, um ihre Räder zu reparieren, mal ein paar Tage zu entspannen oder sich bei der Erweiterung des Projektes auszutoben. Das Ganze ist dabei immer kostenfrei bzw. gegen Spende möglich. Das ermöglicht allen Reisenden, daran teilzunehmen.

Ein paar fantastische Tage mit Manuel und Matias.



Etwa 20 Kilometer außerhalb von Medellin in den Bergen hat Manuel sein „Casa del Ciclista“ gegründet. In über 20 Jahren hat er hier weit mehr als 1000 Radreisende beherbergt. Eigentlich wollten wir nur 1-2 Nächte bleiben. Am Ende wurden es 5 oder 6. Neben Manuel und seiner Frau Marta waren auch noch Matias und Norberto (der bei Manuel angestellt war) aus Argentinien hier. Besonders von Matias, der von Buenos Aires bis Medellin geradelt ist, erhielten wir wertvolle Informationen über das Radfahren in Südamerika. Von Argentiniern bin ich immer besonders beeindruckt. Auf Grund der schwierigen wirtschaftlichen Lage ist das Reisen für sie extrem teuer. Trotzdem sind extrem viele argentinische Radreisende unterwegs. Ihr Budget ist dabei meist sehr gering. Nicht alle Ausrüstung ist High-End, wie bei den meisten Europäern oder Nordamerikanern. Trotzdem schaffen sie es meist, mindestens eine genauso gute Zeit zu haben. Das lässt uns erkennen, dass wir eigentlich auf sehr hohem Niveau meckern, wenn mal wieder irgendwas nicht so klappt, wie es sollte oder es ein paar Tage lang nur Reis und Hühnchen gibt.

In den nächsten Tagen half Manuel uns mittels Hilfe zur Selbsthilfe unsere Räder auf Vordermann zu bringen. Aber nicht nur das, er gab uns auch wertvolle Tipps, was die Reiseroute anging, erzählte uns viel über die Geschichte Kolumbiens, die bis heute andauernden Einflüsse von Guerillas, Paramilitärs und anderen Gangs, sowie über sein eigenes, bewegtes Leben. Beeindruckend, wie jemand, der während der schweren Zeit hier in Kolumbien aufgewachsen ist und viele persönliche Schicksalsschläge hinnehmen musste, heute so ein positiver, lebendiger und in allen Lebenslagen erfolgreicher Typ sein kann. Definitiv einer der herzlichsten Menschen, die wir bisher getroffen haben. auch, wenn er uns immer die „Gordos“ (die Dicken) nannte.

Kulinarischer Aufschwung oder Weg zum Nacktmodell?

In Südamerika, dem Kontinent, wo so viele unserer westlichen Grundnahrungsmittel wie Tomaten oder Kartoffeln ihren Ursprung haben, hofften wir auf besseres Essen als in Zentralamerika. Reis und Bohnen kamen uns nämlich bereits langsam zu den Ohren heraus (da ist schon wieder dieses Meckern auf hohem Niveau). Das sollte sich zunächst auch bestätigen. In Medellin gab es natürlich reichlich Auswahl. Erfreulich waren auch die Preise. Für 2-3 € bekam man meist ein komplettes Men, bestehend aus Suppe, einem Hauptgericht und einem Glas Saft. Außerdem gab es überall leckere Empanadas oder andere Spezialitäten vom Grill. Mein Favorit war aber eine Suppe Namens Mondongo. Diese Leckerei besteht neben Fleisch vor allem auch aus Rindermagen, welcher ihr einen speziellen Geschmack gibt. Außerdem wird dazu Avocado, Reis und Banane serviert. Rose teilte mir mit, sie bewundere mich dafür, dieses Gericht zu mögen.

Beispielhaft der Wurststand vor dem Fußballstadion.




Als wir dann auf der von Manuel empfohlenen Route aufbrachen, zelteten wir in der ersten Nacht an einem Fluss am Rande eines kleinen Örtchen. Die Fahrräder konnten wir bei der netten Besitzerin eines kleinen Cafes einschließen. Als ich dann kurz im Zelt chillte und mich dabei aus meiner Fahrradhose pellte, dachte ich mir nichts dabei, mir draußen im Stehen meine normalen Sachen anzuziehen. Als ich dann jedoch mit dem Gemächt voran aus dem Zelt bewegte, guckte ich nicht schlecht, als da auf einmal ein Fernsehteam stand und genau auf mich und unser Zelt filmte. Pornografie wollten wir uns eigentlich als letztes Mittel aufheben, wenn wir den Rückflug nicht mehr bezahlen können, aber wenn die alle schon mal hier sind…

Wie sich jedoch schnell herausstellen sollte, war das Fernsehteam vor Ort, um die kulinarischen Köstlichkeiten von Magarita, eben jener Cafebesitzerin, bei der wir unsere Räder unterstellen konnten, unter die Lupe zu nehmen. Sie war nämlich eine ziemlich gute Konditorin und Touristen kamen extra etwa eine Stunde von der Stadt hierher gefahren, um ihre Süßspeisen zu verkosten. Aus eigener Erfahrung können wir sagen, dass sich das auch lohnt.


Magarita, die legendäre Tortenbäckerin.
Zu meinem ersten Fernsehauftritt auf der Reise kam ich dann auch, vollständig bekleidet.


Der Ned Flanders der Anden

Die von Manuel empfohlene Strecke führte auf kleinen, meist asphaltierten, Straßen durch die kolumbianischen Anden. Hier war nicht viel Verkehr. Maultier, Pferd und Esel sind sehr typische Fortbewegungsmittel. Zelten war schwierig, da es auch zwischen 2000 und 3000 Metern Höhe immer noch sehr stark bewachsen oder eben mit Weidezäunen abgegrenzt war. Zum Glück findet man aber überall ein Zimmer für wenig Geld. Im Dörfchen Armas gab es allerdings kein ofifzielles Hotel. Der nächste Ort war aber zu weit entfernt. Also fragten wir einfach mal in einem Cafe und siehe da: die Kellnerin kannte eine Frau im Schmuckgeschäft, deren Schwester für 5 € pro Person (inkl. Abendessen und Frühstück) Reisende bei sich übernachten lässt. Da sagen wir doch nicht nein.

Rose von oben.


Die gute Frau, wir haben ihren Namen leider vergessen, nennen sie daher heute „Ned Flanders“, war sehr religiös. Gut, dass wir verheiratet sind und so zumindest in einem Raum schlafen konnten. Nach einer Obstplatte und einer Dusche gab es dann eine „kleine“ Stadtführung. Diese war mit Sicherheit die skurrilste, die wir je mitgemacht haben. Nachdem wir jede Straße im Ort abgelaufen sind und einem Teil ihrer 13 Geschwister vorgestellt wurden, gab es dann noch eine Führung durch das örtliche Krankenhaus und Altenheim. Letzteres ist, und das finde ich schon bemerkenswert, nicht etwa vom Staat, sondern vor allem von den Bürgern der Stadt finanziert wurden. Der Arm des Staates, der reicht nicht bis hier draußen, meinte unsere Stadtführerin.

Unsere kleine, putzige Gastgeberin.

Während der Tour beschwerte sich die zierliche Frau aber nicht nur über den nutzlosen Staat, sondern hatte auch allerhand Gossip über die Einwohnerinnen des Örtchens auf Lager. An einem unscheinbaren Haus mussten wir dann die Straßenseite wechseln. Beim Vorbeilaufen zeigte sie aufgeregt und flüsterte vorsichtig zu Rose und mir „Aqui! El Diabolo!“ (z.dt.: Hier! Der Teufel!). Aber einer Sünde konnte sich die zierliche Dame nicht entziehen. Sie rauchte wie ein Schornstein. Dabei schaute sie auch immer etwas nervös in den Himmel. Aber während unseres Spazierganges kam zumindest kein Blitz von oben. Auch die steilen Straßen lief sie in einem beeindruckendem Tempo auf und ab.

Nach dieser unverhofften zweistündigen Führung brauchten wir erstmal eine Pause und kauften ein paar Sachen für den nächsten Tag ein. Als wir uns dann mit einem Jugendlichen unterhielten, den wir bereits während unserer Mittagspause kennenlernten, tauchte Ned Flanders auf einmal wie ein Geist neben uns auf und zerrte uns von ihm Weg. Von ihrer Wohnung und Dachterrasse konnte sie das ganze Dorf überblicken. Gut, dass sie nicht in der DDR gelebt und für die Stasi gearbeitet hat.

Sonst würde ich heute maximal durch die Sowjetunion radeln.


Nachdem wir ein paar Tage durch diese wunderschönen Bergstraßen geradelt sind, kamen wir in Manizales bei Daniel and Andrea für ein paar Nächte unter und waren spontan Teil einer Hausparty. Wie viele Kolumbianer ist Daniel sehr fußballfanatisch und stand selbstverständlich früh um 6 mit mir auf, um über einen VPN-Server das bittere Scheitern von Energie Cottbus in der Relegation mit anzusehen. Dabei konnte er sein Deutsches Vokabular in Sachen Beleidigungen sicherlich um ein ganzes Stück erweitern.

Zu Gast bei Andrea und Daniel.
In Pereira nahm uns eine nette Familie auf, die vor ein paar Jahren samt Hund Fantasma durch Europa geradelt ist.

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